Pflege der Demokratie

Die Bürgerinitiierte Volksabstimmung

Text: Reinhard Apel, Wien

Was kann der Bürger tun, wenn er den Eindruck hat, seine demokratische Regierung wendet sich gegen ihn und die nächsten wichtigen Wahlen sind weit entfernt? Er kann eine Petition unterschreiben, er kann ein Volksbegehren unterstützen, er kann von seinem Demonstrationsrecht Gebrauch machen. All diese Möglichkeiten sind real gesehen eine Art von Appell an die gewählten Abgeordneten. Was, wenn diese aber nicht zuhören?

Die Macht des Abgeordneten

Des Bürgers relative Ohnmacht gründet sich darauf, dass er seinen Willen durch freie und geheime Wahlen auf die Abgeordneten seiner Wahl übertragen hat. Sie repräsentieren den eigentlichen Souverän in der Demokratie, den Bürger. Während einer Legislaturperiode liegt die eigentliche staatliche Macht bei ihnen, den Abgeordneten. Sie müssen diese in geordneten Verfahren anwenden und ihre Allmacht ist durch die Verfassung eingeschränkt. Aber in diesem Rahmen haben Sie das letzte Wort. Die Volksvertreter haben die vom Bürger auf sie übertragene Gestaltungsmacht ihrerseits in eine möglichst stabile Mehrheit von Abgeordneten im Parlament umgemünzt.

Die politische Partei

Abgeordnete organisieren sich traditionell in Parteien, Dadurch bemerken wir in der Regel nicht, dass laut Verfassung die Abgeordneten als unsere Repräsentanten die eigentlichen Träger der Macht sind. Es werden Abgeordnete meist Parteimitglieder bevor sie auf einer Liste zur Wahl stehen. Oft machen sie erst in einer Partei Karriere, erhalten politische Grundkenntnisse und erwerben Erfahrung. Dadurch sind sie die Unterordnung unter die Agenda der Partei gewohnt. Die politische Partei erhält aber die reale Macht nur durch „ihre“ Abgeordneten. Wiewohl historisch gewachsen schieben sich die Parteien sozusagen zwischen den Bürger und seine Abgeordneten. Der Bürger lernt zwischen Parteiprogrammen auszuwählen und weiß zumeist gar nicht mehr, dass es in seiner Macht läge Abgeordnete auch unabhängig von einer Partei zu berufen.

Wege des Einflusses

Petition, Demonstration und so weiter richten sich also an die Abgeordneten mit dem Appell, eine andere Politik zu machen. Dass dies selten geschieht, liegt eben daran, dass die Abgeordneten an ihre jeweilige Partei gebunden sind (Klubzwang). Sie sind dadurch gehalten, der Parteiführung zu folgen und das Volk ggf. zu ignorieren. All dies wird dadurch abgemildert, dass einerseits die Parteiführung darauf pochen darf, man habe ja ihrer allseits bekannten Agenda zugestimmt. Andererseits ist der zu großen Willkür einer Regierung dadurch Einhalt geboten, dass die Oppositionsrolle andere Parteien dazu ermutigt, den Unmut der Bürger aufzugreifen. Wird dieser zu groß, werden die an der Macht befindlichen Parteien eben abgewählt. So weit so gut.

Corona- und Ukraine Krise fallen aus dem Rahmen

Während der Coronakrise und der aktuellen Ukrainekrise funktioniert das Spiel des Ausgleichs in der repräsentativen Demokratie nicht mehr richtig. Denn:

  • Es ist durch den sogenannten Nationalen Schulterschluss“ aller moderaten Parteien und Verbände die Oppositionsrolle in ihrer Wirksamkeit nahezu aufgehoben.
  • Die Medien erzählen wegen jenes „Nationalen Schulterschlusses“ nur mehr eine Sichtweise, nämlich die der amtierenden Regierung. Dadurch wird der öffentliche Diskurs extrem eingeschränkt. Dieser gehört aber zu einer funktionierenden Demokratie unbedingt dazu (Siehe dazu die Buchbesprechung „Die Vierte Gewalt“).
  • Die oben genannten politischen Themen, sind in den letzten Nationalratswahlen eindeutig nicht abgestimmt worden. Es gab sie nämlich noch gar nicht. Dadurch kann keine Partei in Österreich von sich behaupten, ihre Abgeordneten seien inhaltlich für die Politik gewählt, die sie dann umgesetzt haben.

Vor allem bezüglich des letzten Punktes liegt die Abnormität vor, dass somit der Wille der Österreicher bezüglich der Corona- und desgleichen der Ukraine Politik eben nicht in die maßgeblichen Wahlen eingeflossen ist. Dennoch sind die Abgeordneten zum Parlament formell legitimiert, Ihre Politik zu machen. Der Wähler hat ja die allgemeine Gestaltungsmacht auf sie übertragen. Er wird nunmehr von Ihnen regiert. Die Macht der Abgeordneten ist in den genannten zwei Punkten also zwar „technisch korrekt“ zu Stande gekommen, aber inhaltlich nicht definiert. Das ist normalerweise nicht der Fall.

Meine Partei – Mein Wille

Wer beispielsweise eine konservative Partei wählt, weiß üblicherweise, dass Sozialleistungen gekürzt werden könnten. Mindestens kann sich der Wähler sagen, dass das Parteienwesen zwar durch das Themenbündel, dass eine politische Partei vertritt, seinen Willen nicht genau abbildet, aber er darf doch glauben, dass die Partei seiner Wahl, nicht geradezu das Gegenteil seines Willens verwirklichen wird. So erging es aber dem Autor in den letzten Jahren. Nicht in seinen kühnsten Träumen hätte er angenommen, dass die Grüne Partei – von ihm gewählt für Umwelt und Soziales – so weit gehen würde, die Interessen von Pharmafirmen mit einer Impflicht zu stützen. Desgleichen dass die Grünen – nicht zuletzt aus der Friedensbewegung der 80er Jahre hervorgegangen – nun einen Abnutzungskrieg am Ostrand Europas mittragen und die Neutralität Österreichs aushöhlen würden. Nicht nur einmal hat sich der Autor gewünscht, seine Stimme zurückziehen zu dürfen. Abgesehen davon, dass auch dies eine interessante Idee wäre, nämlich unter bestimmten, klar definierten Umständen, einer Partei auch innerhalb einer Legislaturperiode die eigene Stimme wieder entziehen zu können, kam ihm als das, was es vor allem gebraucht hätte, die Direkte Volksgesetzgebung in den Sinn.

Direkte Volksgesetzgebung vs. Volksabstimmung in Österreich

All die Petitionen, die während der Coronazeit eingebracht wurden, hätten eine ganz andere Wertigkeit, wenn aus ihnen in einem geordneten Verfahren und verfassungsmäßig verankert eine Volksabstimmung von unten hervorgehen könnte. Dies natürlich erst, wenn eine entsprechende Anzahl von Unterschriften etwa für ein vorangehendes Volksbegehren (zzt. 100.000 Stimmen) vorhanden war. Der Repräsentant darf sich nicht gegen den erklärten Willen des eigentlichen Souveräns (des Staatsbürgers) wenden, daher gilt: Das Ergebnis einer Volksabstimmung muss unmittelbar Gesetzeskraft erlangen. Nun ist dies zwar in Österreich so, aber …. gegenwärtig gibt es eine Volksabstimmung nur dann, wenn die Abgeordneten sie initiieren, wenn sie also “von oben” angeregt wird. An dieser Stelle möge der Leser nicht direkt weiterlesen, sondern sich fragen, wie oft wir wohl in Österreich solche von oben initiierten Volksabstimmungen gehabt haben. Die Antwort; zweimal. Man möchte sagen; „eh klar“. Denn die Führung einer Politischen Partei hat wenig Lust, sich vom Bürger einige ihrer Regierungsbeschlüsse separat genehmigen zu lassen. Der Gesinnung eines aufrechten Demokraten widerspräche dies jedoch nicht. Genau genommen gab es überhaupt nur eine einzige vom Parlament wirklich freiwillig losgetretene Volksabstimmung in Österreich, nämlich die über die Kernenergie von 1978. Ihr Ergebnis war eben dieses unerwünschte Konterkarieren der Regierungslinie, das man so gar nicht liebt unter den Abgeordneten, nämlich ein „Nein“. Die zweite Volksabstimmung, die von 1994 über den Beitritt zur Europäischen Union, war von der Verfassung fast zwingend nahegelegt, weil Österreich Teile seiner Souveränität an Brüssel abtreten sollte.

Volksbegehren?

Die wesentlich häufiger auftretenden Volksbegehren haben keine Gestaltungsmacht. Wenn die Regierungsmehrheit den Inhalt des Begehrens nicht in ihre Entschlüsse einfließen lassen will, dann tut sie es einfach nicht. Das ist ihr verfassungsmäßiges Recht. In der Corona- wie der Ukraine Krise blieben die Instrumente der Direkten Demokratie in Österreich dahingehend stumpf, dass auch eine mögliche Mehrheit der Menschen in Österreich gegen die Corona Linie der Bundesregierung sich nicht wirksam geltend machen konnte. Noch einmal sei betont, wie die Corona Politik der Regierung in Österreich in keiner Weise von der Bevölkerung durch Abstimmung gestützt war. Wenn nun eine Regierung so offensichtlich ihre plötzlich völlig neue Agenda durchbringen will, dass sie sogar die parlamentarische Opposition ins Boot holt, wenn sie eine Medienkampagne lostritt und die Rationalität von Bürgern in Zweifel zieht, die Ihrer Linie nicht folgen wollen, wenn die Bürger aber die Handlungen jener Regierung ganz einschneidend zu spüren bekommen, dann wird sie gerade nicht auf die mahnende Stimme eines Volksbegehrens gegenläufigen Inhalts hören. Demonstrationen kann sie aussitzen und eine Volksabstimmung von oben wird eine Regierung in dieser Lage nicht initiieren. Sie weiß ja aus Umfragen, dass die Stimmung der Bevölkerung sie nicht unbedingt stützt. Sie hat sich fest vorgenommen, auf die unvernünftigen Staatsbürger lieber nicht zu hören, weil die Regierung sich als gütigen Vater sieht, der die bequeme und murrende Bevölkerung mit der gebotenen Entschlossenheit über schmale Steige in Sicherheit zu bringen hat.

Zwei Lehrbeispiele für Direkte Volksgesetzgebung

Es wirken die Coronakrise und die aktuelle Ukrainekrise nach Ansicht des Autors wie Lehrbeispiele aus einem Handbuch für Direkte Demokratie. Handelt es sich doch um Themen die

  • Alleinstellungscharakter haben, also leicht aus allem Anderen herausgehoben und angeschaut werden können,
  • Absolut dominant und für alle Bürger des Landes von großer Bedeutung sind, weil Politik A ganz andere und sehr fühlbare Folgen hat als Politik B (zum Beispiel Sanktionen > Inflation),
  • Der Wille der Staatsbürger nicht inhaltlich bei Wahlen auf die Repräsentanten übertragen werden konnte, also „demokratietechnisch“ gar nicht bekannt ist,
  • Die Themen so plötzlich aufgetreten sind, dass sie nicht aus Tradition in ihrer Behandlung bestimmten Parteien zugeordnet werden können.

Die beiden genannten Krisen sind so unglaublich klare Beispiele für die Sinnhaftigkeit der Direkten Volksgesetzgebung durch Volksabstimmung, wie sie niemand besser als vorgestelltes Bild hätte konstruieren können. Sie erklären auch, warum und wann die Ergänzung der Repräsentativen Demokratie durch Direkte Volksgesetzgebung sinnvoll und geboten ist.

Es ist noch anzumerken …

Die Idee der Direkten Volksgesetzgebung wurde in den … Jahren am —-Zentrum in Achberg entwickelt und ist somit auf eine Art ein Kind der Sozialen Dreigliederung. Vom Autor wird sie hier lediglich referiert und mit den letzten zwei großen Politischen Krisen zur Korrelation gebracht.

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Gruppe, welche die Idee der Direkten Volksgesetzgebung durch Jahre aufopferungsvoll vertreten hat, wahrscheinlich gerade bei den zwei genannten Krisen die Anwendung der Direkten Demokratie als wenig wünschenswert erachtet, weil ein “populistisches“ Ergebnis herauskommen könnte. So sagt zumindest der fühlende Bauch des Autors. Jene Gruppe erlebt sich aus überaus verständlichen Gründen als so stark mit Politik der Grünen verbunden, dass sie weiterhin mit deren Agenda mitschwingen will. Immerhin haben Mitbegründer der Grünen in Deutschland eine starke Verbindung zum Zentrum in Achberg gehabt.

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