Körperliche Arbeit wird im Zeitalter der automatisierten Produktion zur verzichtbaren Ware. Freizeit ist die neue Arbeitswelt, in der wir uns prinzipiell selber bedienen. Die Liebe sollte uns dabei beflügeln.
Text: Wolfgang Schaffer
Mit dem ersten Atemzug eines neugeborenen Menschenkindes auf der Erde beginnt eine ununterbrochene Reihe von Notwendigkeiten. Dem Einziehen der Luft in die Lungenflügel folgt das Ausatmen der mittlerweile in ihrer Zusammensetzung substanziell veränderten Luft. Das Leben des menschlichen Organismus auf der Erde vollzieht sich auf Grundlage von dauernden Stoffwechselprozessen. Elemente von «außerhalb» des eigenen Leibes werden in den Körper aufgenommen, soweit als möglich und nötig in den Organismus integriert und in verwandelter Form wieder in die Außenwelt abgegeben.
Ist das schon Arbeit? Natürlich nicht, ist man gewohnt zu sagen, wenn Atmen Arbeit ist, dann betrifft das auch den Herzschlag und auch alle anderen vorwiegend unbewusst verlaufenden Lebensprozesse. Arbeit setzt das Bewusstsein voraus, etwas tun zu wollen – oder zu müssen. Letzteres gilt natürlich für Atmen, Essen und Trinken unabdingbar. Kein Lebewesen kann es sich nach seiner Geburt noch aussuchen, ob es die Grundbedürfnisse seines Leibes befriedigen will oder nicht. Diese Bedürfnisse zwingen ihn zur Selbsterhaltung.
Leben ist Arbeit?
Ob dieser Trieb nun schon irgendwie als Arbeit bezeichnet werden darf, sei einmal dahingestellt. Es sollte aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass durch eine gewisse Erweiterung des Arbeitsbegriffes hin zu den elementaren Lebensprozessen ein milderes Licht auf manche Fragestellungen geworfen werden kann, die uns im Alltag oft begegnen. «Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen», heißt es ja zum Beispiel an einer Stelle im Neuen Testament. Tatsächlich braucht und verbraucht jeder Mensch «Welt» direkt in Form von Wärme, Licht, Luft, Wasser und Erde oder indirekt durch in Pflanzen und Tieren gebundene Nahrung. Alle diese Stoffe werden ihm wie auch sein eigener Leib von allem Anfang an geschenkt. Warum eigentlich? Wieso stehen wir nicht grundsätzlich dem Leben gegenüber unter Kaufzwang?
Wenn wir diese Frage auf die Zeugung eines neugeborenen zukünftigen «Erdenarbeiters» erweitern, kann sie lauten: Was motiviert die Eltern eines Kindes zu all der Anstrengung und Hingabe, für das Kind zu sorgen? Zahlt sich das eigentlich aus? Zweifellos ist das Grundanliegen aller Eltern die Liebe zu dem Neugeborenen. Es ist dem Menschen wie eingepflanzt, sich um das Wohl des ihm anvertrauten kleinen Menschenwesens so gut als möglich zu kümmern, solange es sich noch nicht selber versorgen kann. Dagegen kann man zwar den Einwand machen, dass diese Zuwendung an die nächste Generation auch der eigenen Altersversorgung dient und dementsprechend nicht ganz selbstlos erfolgt. Trotzdem lässt sich leicht daran erkennen, dass die umfassendsten, gewaltigsten «Leistungen» sich völlig außerhalb des erst im Laufe der Zeit entwickelten Begriffsvermögens von Leistung, Arbeit und Lohn vollziehen.
Ein Universum von unzählbar vielen Sonnensternen, Planeten und unsichtbar pulsierenden Kräften, das sich in andauernder dynamischer Bewegung befindet, wird einfach als «die Schöpfung» unentgeltlich vorausgesetzt. Die Erde trägt das pflanzliche, tierische und menschliche Leben als «die Natur» mit sich durch diesen Kosmos. Wir sind als Menschen insofern «Kinder» dieser Schöpfung, als dass wir zu deren Existenz nichts Erkennbares beigetragen haben. Ganz instinktiv sind wir uns dieser allgemeinen Kindschaft noch bewusst. Im Umgang miteinander in der Welt der Erwachsenen handeln wir doch oft völlig anders.
Handeln füreinander
Wenn Kinder denken, sprechen, sich bewegen und etwas tun, so nennt man das normalerweise auch nicht Arbeit. Es handelt sich bei diesen Vorgängen dann um Spiel. Kinder sind noch eingebettet in ihre Familie und erhalten alles, was sie zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse brauchen, von ihren Eltern bereitgestellt. Diese sogenannte «Großen» freuen sich ganz einfach daran, die «Kleinen» bei ihrem Wachsen und Werden zu beobachten und ihnen dabei zu helfen, ihre Begabungen zu entwickeln und erkennbare Mängel durch entsprechende Maßnahmen möglichst auszugleichen.
Warum scheut man sich eigentlich noch, all diese Vorgänge auch mit den bekannten Denkmustern aus der Arbeitswelt als Wechselspiel von Angebot und Nachfrage, Konkurrenz und Profitmaximierung zu beschreiben? Das Familienleben ist scheinbar doch einigermaßen gut geschützt vor der Vereinnahmung durch das rein wirtschaftliche Denken, das ansonsten bereits alle Bereiche des sozialen Lebens durchdringt. Dieser «Schonfrist» ungeachtet sind fast alle familiären Handlungen füreinander aktuell auch schon käuflich zu erwerben. Das beginnt bei der Inanspruchnahme einer Leihmutterschaft, umfasst praktisch alle Bedürfnisse, die ein Mensch befriedigt haben will und mündet in der intensivmedizinische Versorgung bis hin zu dem Einsatz von Herz- Lungenmaschinen zur Erhaltung der Lebensfunktionen.
Arbeit als Erwerb
Mit der sogenannten Volljährigkeit wird das liebevolle Handeln füreinander, die Tat aus rein privater Nächstenliebe zurückgestellt. Wer jetzt weiterleben will, muss etwas für andere leisten, was für diese auch einen gewissen Wert hat. Die Arbeit gegen Geld beginnt. Je nach Bildungsgrad geht es nun den Rest des Lebens mehr oder weniger intensiv darum, die Kräfte so zu lenken, dass man den Anforderungen eines Berufes entsprechen kann, ohne dabei die Lust am Leben zu verlieren.
Dieses Leisten füreinander ist natürlich auch mit Mühen und Opfern verbunden. Positiv formuliert sollte man durch seine als Arbeit «geopferte» Lebenszeit soviel verdienen, dass man sich mit dem erworbenen Geld seine eigenen Bedürfnisse erfüllen kann. Bedingungslos geschenkt wird dem Erwachsenen in dieser Lebensphase eigentlich nur mehr das Licht und die Wärme der Sonne sowie die benötigte Atemluft. Je nach Einkommen gibt es jedoch deutliche Unterschiede in der Qualität des Ortes, wo man leben und atmen kann. Trinkwasser ist in weiten Teilen der Welt bereits an Gegenleistungen gebunden.
Bann und Zwang des Geldes
Die uns ursprünglich bedingungslos geschenkten Lebensgrundlagen sind im Laufe der Entwicklung in den «Bann der Zahl» geraten. Was sich messen, wägen, zählen lässt, wird unter gewissen gedanklichen Beschränkungen zur handelbaren «Ware». Das trifft dann schließlich auch den Menschen selber. Er wird zuletzt im Wirtschaftskreislauf als Kostenfaktor eingestuft, der für seine Arbeitsleistung im globalen Zusammenhang möglichst wenig Geld erhalten soll, um den Gewinn an sich nicht unnötig zu verringern. Wer Geld hat, kann sich damit günstige Lebensbedingungen kaufen. Eine schöne Insel zum Beispiel, ganz und ausschließlich für den eigenen Bedarf. Wer sehr viel Geld hat, lässt dann immer mehr das Geld für sich arbeiten. Diese angebliche «Arbeit» besteht nur aus Kauf und Verkauf. Dazwischen liegt der erzielte Geldgewinn. Durch die von Investoren künstlich herbeigeführte Begrenzung der Verfügbarkeit bestimmter Waren entsteht eine erhöhte Nachfrage, der Preis steigt entsprechend an und damit wird manche «Ware» sogar unerschwinglich. Wer sich zum Beispiel ein kleines Häuschen mit Garten am Rande einer Großstadt als Wohnort für sich wünscht, wird sich vielleicht anfänglich doch wundern, dass es mit einem durchschnittlichen Einkommen praktisch unmöglich ist, den Preis dafür zu bezahlen.
Geistgehalt durch Meditation
Die derzeitige «freie» Marktwirtschaft hat sich soweit entwickelt, weil die westliche Welt den Begriff des «Schicksals» nicht ernst und tief genug mit den Ideen der Wiederverkörperung und der Vererbung in Zusammenhang bringen konnte. Die Fiktion des «freien Marktes» der eine gerechte Verteilung von Waren und Einkommen von sich aus zustande bringt, ist zur Tarnkappe geworden, unter der die maßlos wachsende Gier des einzelnen anonymen Investors grandios versteckt werden kann. Niemand ist schuld und keiner übernimmt die Verantwortung für die Folgen von Geschäften, die der Welt und den Menschen Schaden zufügen.
Dieser unsichtbaren Macht stehen die vielen «ahnungslosen» Menschen gegenüber, die ohnmächtig vor den scheinbar unabdingbaren Notwendigkeiten des demokratisch legitimierten liberalen «Systems» resignieren. Dieses Erleben und Aushalten von Ohnmacht kann allerdings im glücklichsten Fall nicht gleich direkt zu einer gewaltsamen Revolution, sondern zu einer echten «Änderung des Sinnes» führen. Denn das «Reich der Himmel» ist vor allem in den Zeiten der Krise nahe herbeigekommen, wie es auch schon im Neuen Testament geschrieben steht.
Der sinnvollen Weiterentwicklung des herrschenden Gesellschaftsmodelles muss ein innerer Wandel vorangehen. Nur aus einer Erneuerung von Innen kann der nächste Schritt im äußeren sozialen Zusammenhang gefunden werden. Dieser Evolution der sozialen Verhältnisse dient der Erkenntnisweg der Anthroposophie. Ganz eigene Gesetze gelten diesem Weg entsprechend für die Arbeit im Inneren des Menschen. «Beschauliches Nachdenken» wie Rudolf Steiner Meditation auch nennt, ist ganz das Gegenteil von dem, was man unter produktiver äußerer Arbeit gemeinhin versteht.
Ein Mensch, der sich nichts anderes vornimmt und tut, als einen frei gewählten Seeleninhalt in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit zu stellen, braucht dazu kein äußeres Motiv. Er braucht dafür auch keinen Lohn. Die Tat an sich genügt, um Frieden, Freude und heitere Gelassenheit der Zukunft gegenüber in der Seele des meditierenden Menschen zu erzeugen. Diese Geistesfrüchte werden völlig unentgeltlich unerschöpflich an jede Seele frei verschenkt, die sich in diesem Sinne bemüht. Im Idealfall handelt es sich bei dem Meditationsinhalt um ein begrifflich voll durchschautes, vom Sinn her unerschöpflich tief und weit reichendes Motiv. Das kann ein Regenbogen sein. Wir werden dadurch aus unserer Freizeit wieder eine «Arbeitszeit» gewinnen, die diesen Namen zu recht und in höherem Sinne verdient!
Fünf Minuten «Arbeit» pro Tag in diesem Sinn genügen – soviel Zeit hat Rudolf Steiner schon vor 100 Jahren mindestens zur Ausbildung des «inneren Menschen» veranschlagt, als er die Anthroposophie begründete. Im freiwilligen, konzentriert-bildhaften Nachdenken über das Geschenk der Schöpfung befreien wir unsere Lebenszeit wieder aus dem Kerker, in den sie durch die menschliche Entwicklung der gegenseitigen Forderung und Beanspruchung durch Arbeit und Leistung immer tiefer eingemauert wurde. Meditation ist die erste und froheste Tat aus Freiheit und Liebe, durch die der Mensch seine ihm ursprünglich anvertraute Würde als «Kind der Gottheit» aus eigenem Vermögen wiederherstellt. Die Wahrspruchworte Rudolf Steiners können dabei treue Wegbegleiter sein.
«In den reinen Strahlen des Lichtes
erglänzet die Gottheit der Welt.
In der reinen Liebe zu allen Wesen
erstrahlt die Göttlichkeit meiner Seele.
Ich ruhe in der Gottheit der Welt.
Ich werde mich selber finden
in der Gottheit der Welt.»