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Wolfgang Tomaschitz (Wien)

Das Goetheanum und die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft in Pandemiezeiten

Der Vorstand am Goetheanum und die Goetheanum-Leitung hatten in den letzten Jahren einen sehr intensiven Austausch zwischen den Landesgesellschaften in aller Welt und dem Sitz der Weltgesellschaft in Dornach (Schweiz) etabliert. In einer ganzen Reihe von Tagungen und Arbeitskreisen am Goetheanum war so etwas wie ein ‚Atmen zwischen Peripherie und Zentrum‘ spürbar. Die Landesvertreter*innen aus über 35 Ländern waren in den Treffen nicht nur als Berichterstatter anwesend, sondern auch in Beratungen und künftige Projekte einbezogen. Und sehr viele Menschen kamen von den Fachtagungen am Goetheanum – für Medizin, Pädagogik, Heilpädagogik oder Landwirtschaft – inspiriert zurück, weil man sich in der Gemeinschaft mit hunderten anderen Menschen und in gemeinsamen Aufgaben und Zielen gefunden hatte.

Diese Art Verbundenheit zu pflegen, ist derzeit nicht möglich. Das Goetheanum ist in einem zweiten Lockdown. Es wird auf jeden Fall bis Ende März fast vollständig geschlossen bleiben und auch dann nur kleinere Gruppen beherbergen können. Der internationale Kreis der Landesvertreter*innen ist einander seit über einem Jahr nicht mehr real begegnet. Das Goetheanum musste also neue Wege beschreiten, um die Rolle des kommunikativen Zentrums der Weltgesellschaft weiter wahrzunehmen.

Zunächst – in den ersten Monaten der Pandemie 2020 – hatte man die Zeit in den Fachsektionen zu einer Vertiefung der Grundlagenarbeit genutzt, die sich in größeren und kleineren Publikationen niederschlug. Das Buch „Perspektiven und Initiativen zur Coronazeit“ herausgegeben von  Ueli Hurter und  Justus von Wittich, in dem Beiträge aus elf Fachsektionen als Handlungsorientierung zusammengetragen wurden, oder Jasmin PeschkesVom Acker auf den Teller. Was Lebensmittel wirklich gesund macht“ sind besonders schöne Beispiele dafür.

Zugleich hat man sich aber auch – viel intensiver als man das ohne Not der Pandemie getan hätte – in  digitale Kommunikationsformate hineinbewegt. Nicht nur, dass Zoom-Konferenzen seit Monaten die einzige Möglichkeit darstellen, sich in größeren Gruppen zu beraten und zu ‚sehen‘, auch an großen Tagungen wie jener der Medizinischen Sektion oder zuletzt im Februar 2021 der landwirtschaftlichen Tagung „Atmen mit der Klimakrise. ökologisch – sozial – spirituell“ konnte man via streaming teilnehmen. Die Reaktionen darauf waren sehr positiv. Man ist damit einer Vision nähergekommen, die schon seit einiger Zeit rund um die Jahrestagung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft bewegt wurde, dass nämlich eine Tagung in Dornach zeitgleich mit zahlreichen ähnlichen Tagungen an anderen Orten der Welt stattfinden könnte – ein zeitgemäßer Modus für eine Weltgesellschaft im 21. Jahrhundert. Was zuvor als ‚zu technisch‘ und der Anthroposophischen Gesellschaft nicht angemessen empfunden wurde, musste nun aus der Not der Situation heraus doch gewagt werden. Andernfalls wäre das Goetheanum für Monate von der Weltgesellschaft und den Mitgliedern abgeschnitten.

Ohne aus den Augen zu verlieren, dass eine digitale Kommunikation echte Begegnungen nicht ersetzen kann, wurde daher eine Reihe von digitalen Angeboten geschaffen. Als besonders empfehlenswert sei hier die Vortragsreihe „Zur Signatur der Gegenwart“ genannt, wo von unterschiedlichsten Persönlichkeiten zu aktuellen Zeitfragen Stellung genommen wird oder auch das Kolloquium zum „Assistierten Suizid“ oder die „Szenen aus den Mysteriendramen“, die alle über die Goetheanum Website zugänglich sind. Auch die nächsten größeren Tagungen der Jugendsektion „Trust“ (31. März bis 3. April) und „Regulation, Rhythm and Health” (5. bis 6. März) der medizinischen Sektion werden nur online stattfinden.

Nach wie vor als eine wirkliche Begegnung vor Ort, wenn auch zahlenmäßig eingeschränkt, ist die Veranstaltung „Living Connections“ (21. bis 25 April) zur Anthroposophischen Meditation und die Tagung „Die Evolution sind wir“ zum 100. Geburtstag Joseph Beuys (10. bis 13. Juni) geplant.

Wesentliche Aufgaben der Teams am Goetheanum waren und sind – in turbulenten Zeiten wie diesen – die Moderation und das Sichtbarmachen von Orientierung. Hier war in den letzten Monaten vor allem die Leitung der medizinischen Sektion (Dr. Girke, Dr. Soldner) gefragt. Nach Auskunft der meisten Landesvertreter*innen aus unterschiedlichen Weltgegenden von England bis Südafrika wurden deren besonnene und moderate Stellungnahmen zur Corona-Krise als besonders hilfreich empfunden.

Aus den Berichten zur anthroposophischen Arbeit in anderen Ländern geht aber auch hervor, dass die Aktivitäten am Goetheanum in eine Sphäre von sehr initiativen Menschen eingebettet ist, die überall in kleinen Gruppen – die sich als sehr krisenfest erwiesen haben – ihre Arbeit nicht nur fortsetzen, sondern sogar noch intensiviert haben. Ganz nach dem Motto der sozialwissenschaftlichen Sektion „Die Welt ist in unsere Hände gelegt. Wir sind verantwortlich. Niemand sonst. Jede einzelne Person kann Ausgangspunkt einer neuen Zukunft sein. Jederzeit.“

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