In Erinnerung an Edeltraut Zwiauer

20. August 1925 – 4. November 2020

Streiflichter ihres Wirkens – Aus der Zeit unserer jahrzehntelangen kollegialen Leitung der Bildungsstätte für Eurythmie Wien.

Wer konnte wie sie das Mantram von Rudolf Steiner “Die Sonne schaue um mitternächtige Stunde“ zur Eurythmie sprechen? Wer konnte wie sie den inneren Klang und die genügend große Atempause für die zwischen den Zeilen “in den Kosmos gehauchten Vokale“ miterleben und erfüllen? Ihr war es bis in die letzte Zeit, als sie selbst nicht mehr eurythmisch auftrat, möglich, sehr klangvoll, rhythmisch und einfühlsam zu sprechen; und ich konnte dieses Mantram nur mit ihr zur Weihnachtsfeier aufführen.

So entstanden im gemeinsamen Tun zu den Jahreszeitenfesten auch andere Sprüche von R.Steiner, A.Steffen oder Novalis und größere Abschnitte der Uriel- Johanni-Hymne und der Michael-Dichtung von Wilfried Hammacher von ihrem tönenden Sprachstrom getragen. Auch arbeiteten wir gern mit unserer Sprecherin Duos von R.Hamerling, A.Steffen, R.Steiner, K.Thylmann mit gegebenen Formen, sowie Tierkreisstrophen zu den Jahreszeiten.

Solistisch war Edeltraut Zwiauer besonders eindrucksvoll in “Christophoros“ von A.Steffen, sowie in einem C.F.Meyer-Gedicht, in dem so unvergesslich sich mir einprägte: “Da stand ich im Gewölke vorn und stieß aus voller Brust ins Jägerhorn“, mit viel Enthusiasmus lautiert! Dann in einem Teil aus dem “Empedokles“ von F.Hölderlin, anlässlich der Jubiläumsfeier des Empedokles- Zweiges bei uns in der Tilgnerstraße. Als Mutter in einem ausgewählten Teil der “Kalewala“, den wir mit großer Gruppe in Finnland aufführen konnten, waren ihre Bewegungen weit strömend, lösten sich von der Gestalt und erfüllten den ganzen Raum.

In der Toneurythmie arbeiteten wir sehr gerne zusammen, so z.B. den 1.Satz der E-Dur-Sonate für Geige und Klavier von J.S.Bach oder das Adagio espressivo in Es-Dur von L.v.Beethoven mit Form von R.Steiner. Ihr Sohn Florian, als Konzertmeister der Wiener Symphoniker, beflügelte uns dabei mit seinem Geigenklang! Auch die Arpeggione-Sonate für Cello und Klavier von F.Schubert gehörte dazu.

Edeltraut Zwiauer selber konnte sehr schöne Toneurythmie-Formen zeichnen, z.B. für den bekannten Satz aus dem Streichquartett von L.v.Beethoven “Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit“, welches zu verschiedenen Anlässen mehrmals aufgeführt wurde – u.a. in Chartres. Auch Formen zu J.S.Bachs Triosonaten und Fugen, zu W.A.Mozarts Quartetten und Klavierkonzerten, um nur Einiges zu nennen.

Weil sie sich durch ihr musikwissenschaftliches Studium in der Musikgeschichte bestens auskannte, war sie befähigt, zu einer solistischen Aufführung der Klavierstücke op.19 von A.Schönberg eine sehr lebendige Einführung in seine Zeit und seine Kompositionsweise zu geben, die auch auf die Oberstufenschüler der Rudolf-Steiner-Schule mitreißend wirkte.

Aus unserem Nachbarland Slowakei, das zu dieser Zeit noch keine eigene Ausbildung hatte und die Interessierten bei uns studierten, kam verschiedentlich die Anfrage nach Eurythmie-Aufführungen. Dadurch ergab sich für uns die Möglichkeit sowohl mit den Abschlusskursen als auch der künstlerischen Gruppe dort aufzutreten, was jedes Mal in den Kulturhäusern begeistertes Echo hervorrief. Edeltraut Zwiauer war maßgeblich an der Gestaltung, meist lauteurythmisch, beteiligt.

Eine sehr willkommene Abwechslung in der dunklen Jahreszeit war der Fasching – das Fest an dem alles mal ganz anders sein durfte, bei dem die künstlerische Fantasie noch stärker angeregt wurde, wo es erstaunliche Neuigkeiten zu erleben gab! Edeltraut Zwiauer liebte es mit den Studenten lustige Stücke zu erarbeiten z.B. das Märchen von der goldenen Gans, an der alle anklebten. Aber man soll nicht denken, dass es so einfach ist Humoresken zu gestalten. Da heißt es: üben, üben und nochmals üben bis die charakteristischen Gebärden und die Schritte genau stimmen und aussagekräftig sind. Um die dazu passende Bekleidung wie Tüchlein, Schleierstückchen, Spitzen, Kopfbedeckungen usw. herauszusuchen standen alle Schränke und Schubladen weit offen. Was nicht vorhanden war, musste noch rasch angefertigt werden. Bei der Aufführung wurden wir Lehrer dann oft überrascht von den spontanen eigenen Ideen der Studenten: plötzlich kam Beethoven mit Luftballons in den Händen, packpapierne Kugeln auf die Bühne gestreut bei Palmström, Pinguine in stolzer Pracht, erstaunliche Auftritte beim Betreten der Bühne u.v.m. mit einer knackigen Polonaise, in die auch die Besucher einbezogen wurden, endete das farbenfrohe Treiben im Festsaal, um oben in unseren Eurythmieräumen mit Tanz und Spaß, bei Essen und Trinken auszuklingen. Edeltraut Zwiauer war überall mittendrin mit großem, freudigem Einsatz und viel Fantasie bis ins Schmücken aller Räume. Das war jedes Mal ein gelungenes Ereignis.

Es ergab sich, dass wir einen Ausbildungskurs aus Rumänien für eine Zeit bei uns aufnehmen konnten. Die Studierenden waren im ersten Jahr und wurden in den Anfängerkurs integriert. Die gemeinsamen Eurythmiestunden erfreuten uns sehr und auch die bereichernden Menschenbegegnungen. Edeltraut Zwiauer kümmerte sich um Alle und alles. Sie war Herzensmittelpunkt, war immer da und jederzeit offen für alle Fragen. Auch ermöglichte sie ihnen im Haus zu wohnen. Es gab geführte Museumsbesuche, die Fahrt ins Burgenland zu den Burgen Lockenhaus und Bernstein und Rudolf-Steiner-Stätten und auch gemeinsame Feste mit speziellen Koch- und Backkünsten. In Dornach begegneten wir uns beim Treffen der Diplomabschlusskurse drei Jahre später als gute Freunde und fertige Eurythmisten wieder.

Die verschiedensten Gastdozenten, sei es für eurythmische, musikalische oder theoretische Inhalte, die eine besondere Farbigkeit in den Ablauf der Trimester brachten, wurden von Edeltraut Zwiauer immer auf das Herzlichste empfangen und umsorgt, und in die Wiener Atmosphäre eingeführt.

Wien gehörte zu ihr und sie gehörte zu Wien, speziell zur Innenstadt, zum Ersten Bezirk. In der Nähe der Oper oder beim Stephansdom konnte man sie fast täglich um die Mittagszeit antreffen, denn dort war eine atmosphärische Ruhe und der besondere Wiener Klangäther zu spüren. “Hörst du, wie die Steine hier anders klingen“ konnte sie mich als Neuling fragend aufmerksam machen. Auch war sie vertraut mit allen Musiker-Stätten, die sie gerne den Studierenden und unsern Besuchern zeigte und viel zu erzählen wusste. Am Abend war ihr Lieblingsort das Stehparterre im Musikverein.

Sehr eindrucksvoll war für uns eine Aufführung in dem damals erst gerade von Christian Hitsch errichteten Rudolf-Steiner-Bau Salzburg. Der Rundbau mit den Säulen, die malerische Ausgestaltung der Kuppel, die künstlerische Substanz übten eine eindringliche Wirkung auf unsere ätherischen Bewegungen aus: es wurden ganz neue Kräfte im Tun geweckt, wobei die Eurythmie mit der Raumgestaltung in eines verschmolz. Das war besonders spürbar im Choralvorspiel G-Dur von J.S.Bach durch eine größere Gruppe. Ebenso fügten sich die vier Sprüche der Säulenweisheit von R.Steiner in diesen Raum ein. Auf dem dazugehörigen okkulten Siegel sind zwei Säulen abgebildet: die rote (Jachin) im Wasser, die blaurote (Boas) auf der Erde stehend. Im Duo dargeboten gestaltete Edeltraut Zwiauer dabei die zweite Säule. – Wieder zurück in unseren geraden Wänden klang dieses eindrückliche Raum-Erlebnis noch lange in uns nach.

J          Im reinen Gedanken findest du

Das Selbst, das sich halten kann.

Wandelst zum Bilde du den Gedanken,

Erlebst du die schaffende Weisheit.

 

B         Verdichtest du das Gefühl zum Licht,

Offenbarst du die formende Kraft.

Vedinglichst du den Willen zum Wesen,

So schaffest du im Weltensein.

Jahrelang einmal im Monat brachte Edeltraut Zwiauer ihren eurythmischen Impuls auch zu den Prager Freunden. Sie fuhr jeweils an Wochenenden dorthin, arbeitete mit einer Gruppe in einem größeren Raum sowie solistisch mit der Organisatorin und Eurythmistin Michaela Dostalova in deren Privatwohnung. Die Arbeit war sehr intensiv. Der innere Einsatz und die Freude bei allen Teilnehmenden waren groß und die Herzen von Dankbarkeit erfüllt. Aus dieser starken eurythmischen Verbindung ergab sich dann eine Ausbildung in Prag unter der Schirmherrschaft von Wien mit verschiedenen Kurzepochen an unserer Schule.

Sie liebte ihren langjährigen Laienkurs, den sie bis zum Schluss mit viel Enthusiasmus leitete, und sie liebte es auch, uns öfter als Zuschauer hinzuzubitten, um die sehr engagierten, freudig erwärmten Teilnehmer im eurythmisch tönenden Schwingen erleben zu können, was uns alle belebte und erfüllte.

Mit einem umfangreichen Artikel im Rundbrief SRMK zu Michaeli 2012 greift sie tief in das musikalische Leben um 1879 bis weit ins Folge-Jahrhundert und schließt mit einer ganz persönlichen Zusammenfassung eines bedeutsamen Bildes aus der zweiten Eurythmie-Ansprache Weihnachten 1923 von R.Steiner zum Thema Sprache und Musik.

«Mit der Sprache erreicht man das jenseitige Ufer des Flusses – mit der Musik muss ich in das Wasser des Flusses.»

Als ihre Bewegungsmöglichkeiten in der letzten Zeit stark eingeschränkt waren, lebte Edeltraut Zwiauer zurückgezogen in ihrer Wohnung. Doch wurde sie von der Eurythmie, jetzt therapeutisch, intensiv weiter begleitet. Es war mir möglich mit Hilfe von Gerhard Weber, der die Übungen auswählte und mir übermittelte, ihr das zu geben, was sie brauchte, um das Leben wie es jetzt war, zu bewältigen. Sie beschäftigte sich, wenn sie allein war, mit Lesen, wie Musikerbiografien, viele Märchen, Bücher von R.Steiner und S.Prokofieff, und sie studierte zahlreiche Klavierauszüge u.a. W.A.Mozarts Zauberflöte.

Die Heileurythmie war ihr Lebenselixier. Auf die Frage, ob es nicht zu anstrengend sei – denn das Programm war lang – antwortete sie: “Nein, ich sehne mich doch danach!“ Es war wie ein Ritual, das sich täglich in der gleichen Weise wiederholte und das sie mit großer Dankbarkeit annehmen konnte. Dieses wiederholendliche Tun war für sie wesentlich, weil es ihr einen Halt gab im Verlauf der Tage und Nächte. Dazu gehörte auch der Grundsteinspruch und Novalis mit ausgewählten Melodien . Hingebungsvoll konnte Edeltraut Zwiauer einsteigen in die heilenden Kräfte der Laute, Töne und Intervalle, die ihr ein besonderes Labsal waren, und die sie täglich zu außergewöhnlichen Glücksmomenten führten. So konnte ihr bis zum Schluss, auch in der Fernbehandlung als sie schon im Spital war, die Hilfe zuteil werden, die ihr ermöglichte, harmonisch im Atem und friedlich über die Schwelle zu gehen und sich von ihrer physischen Hülle leicht zu lösen.

Unser liebender Dank begleitet sie!

Adelheid Petri, Wien

Lebensdaten:

Edeltraut Mayrhofer wurde am 20.8.1925 geboren.

Studium der Musikwissenschaften an der Universität Wien.

1950 heiratete sie Johannes Zwiauer (*1922), Vorsitzender der Weleda Österreich und Generalsekretär der anthroposophischen Landesgesellschaft.

Bald begann sie ihre Eurythmieausbildung bei den Gründerinnen Trude Thetter und Friedl Meangya, die sie später schrittweise in der Leitung ablöste.

Der Ehe entstammen zwei Söhne, beide Musiker.

Ihr Gatte starb am 21.3.2018, sie folgte ihm am 4.11.2020

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