Text: Christoph Eisert, Fotos: Anthrowiki. Ob ein Schatten farbig erscheint liegt nicht in den Augen des Betrachters. Ein Experiment, das Naturwissenschaft und Wahrnehmung in ein anderes Licht setzt.
„Kennen Sie farbige Schatten?“ Sie werden diese Frage wahrscheinlich mit „Nein“ beantworten, beziehen wir uns doch meistens auf Schatten beispielsweise im neutralen Sonnenlicht. Theateraufführungen jedoch oder eine beschneite Winterlandschaft zur Abenddämmerung geben immer wieder Gelegenheit, farbige Schatten zu beobachten. Goethe beschreibt sie sehr eindrucksvoll:
„Auf einer Harzreise im Winter stieg ich gegen Abend vom Brocken herunter; die weiten Flächen auf- und abwärts waren beschneit, die Heide von Schnee bedeckt, alle zerstreut stehenden Bäume und vorragenden Klippen, auch alle Baum- und Felsenmassen völlig bereift; die Sonne senkte sich eben gegen die Oderteiche hinunter.
Waren den Tag über bei dem gelblichen Ton des Schnees schon leise violette Schatten bemerklich gewesen, so musste man sie nun für hochblau ansprechen, als ein gesteigertes Gelb von den beleuchteten Teilen widerschien.
Als aber die Sonne sich endlich ihrem Niedergang näherte, und ihr durch die stärkeren Dünste höchst gemäßigter Strahl die ganze mich umgebende Welt mit der schönsten Purpurfarbe überzog, da verwandelte sich die Schattenfarbe in ein Grün, das nach seiner Klarheit einem Meergrün, nach seiner Schönheit einem Smaragdgrün verglichen werden konnte. Die Erscheinung ward immer lebhafter, man glaubte sich in einer Feenwelt zu befinden, denn alles hatte sich in die zwei lebhaften und so schön übereinstimmenden Farben gekleidet, bis endlich mit dem Sonnenuntergang die Prachterscheinung sich in eine graue Dämmerung und nach und nach in eine mond- und sternhelle Nacht verlor.“
Farbige Schatten benötigen offensichtlich zwei Beleuchtungen. Eine Kaffeetasse im Sonnenlicht zeigt auf weißen Untergrund einen grauen Schatten. Mit beleuchtetem farbigen Papier können wir den Schatten einfärben. Wir bekommen einen sogenannten Gefärbten Schatten (GS). Eine Fliege im GS könnte uns von der farbigen Beleuchtung berichten.
Wie entstehen Farbige Schatten (FS)? Wenn wir das Sonnenlicht mit farbigem Transparentpapier oder durchsichtiger farbiger Folie einfärben, so bildet sich der Schatten in farbigem Licht. Zusätzlich wird dieser Schatten durch neutrales Umgebungslicht beleuchtet. Eine Fliege im FS befindet sich in einem zum farbigen Licht komplementären Schatten. Sie könnte von diesem farbigen Licht jedoch nicht berichten (sie befindet sich im zugehörigen Schatten), sondern nur, dass sie neutral aus der Umgebung beleuchtet wird.
Diese Beleuchtungssituationen können wir mit zwei Lampen oder Kerzen, verschieden farbigen Folien und einem undurchsichtigen Gegenstand in einem verdunkelten Raum experimentell durchspielen.
Der GS entsteht durch eine direkte farbige Beleuchtung in den Schatten. Wie können wir die Komplementärfarbe des FS erklären? Von Leonardo da Vinci im 15. Jahrhundert bis in unsere Zeit setzten sich viele Forscher mit dem FS auseinander. Entweder versuchten sie den FS aus objektiven, von den Augen unabhängigen, Bedingungen abzuleiten. Oder seine Farbe wird der subjektiven Reaktion der Augen auf den Farbreiz der farbigen Beleuchtung in der Umgebung der FS zugeordnet. Goethe nimmt in seinem Entwurf einer Farbenlehre die zweite Position ein.
Gehen wir das Experiment nochmals durch. Eine neutrale Lichtquelle möge einen grauen Schlag- oder Kernschatten erzeugen. Wird nun in gleicher Versuchsanordnung das neutrale Licht mit einer Folie eingefärbt (ohne zweite Lampe), so bleibt der Schatten grau. Im Augenblick einer zweiten (jetzt neutralen) Beleuchtung in den Schatten nimmt dieser die Komplementärfarbe an.
Welcher Farbbildungsvorgang liegt vor? Wenn wir bei neutraler Beleuchtung den entstehenden Schatten wieder neutral beleuchten, so erscheint dieser in einem aufgehellten Grau. Für den FS muss also die farbige Beleuchtung mitverantwortlich sein. Dessen Komplementärfarbe entsteht im Kernschatten der farbigen Beleuchtung, sie ist uns ohne zweite neutrale Beleuchtung jedoch nicht sichtbar. Erst die neutrale Beleuchtung macht uns dessen Farbe sichtbar. Wie bei den farbigen Nachbildern (dort im Menschen) wirkt der Farbenkreis in seiner Totalität (hier in der Welt).
Das Argument, von der Fliege (oder uns) im FS kann keine farbige Beleuchtung in diesen festgestellt werden, deshalb müsse dessen Farbe ein Augenphänomen sein, ist hinfällig. Auch der außenstehende Beobachter kann nur bestätigen, dass kein farbiges Licht in den FS fällt.
Auch ist die farbige Umgebungsbeleuchtung des FS in der neutralen Aufhellung der zweiten Lichtquelle viel zu schwach, als dass das Auge so deutlich mit der Komplementärfarbe darauf reagieren könnte. Die Farbe des FS ist an ihn gebunden und nur solange vorhanden, wie die Versuchsbedingungen bestehen.
Alle Versuche, die Subjektivität des FS zu beweisen, zeigen nur immer wieder: Seine Farbe verschwindet, wenn eine der zwei wesentlichen Bedingungen (Schatten in farbiger Beleuchtung, neutrale Beleuchtung in den FS) nicht gegeben ist.
Sie können mit verschieden farbigen Beleuchtungen experimentieren, GS oder FS mit farbigem Untergrund mischen usw. Wir wünschen viel Freude beim experimentieren.