Text: Reinhard Apel
Ein Bild, auf das die meisten von uns täglich blicken, ist das Hintergrundbild am Computerbildschirm. Ein Phänomen, das nicht unbemerkt bleiben sollte. Das Sitzen am Datenverarbeitungsgerät prägt seit ein, zwei Jahrzehnten unser Leben. Anthroposophie soll den Versuch beinhalten, sich Eindrücke bewusst zuzuführen, zur Förderung eines ausgeglichenen Seelenlebens.
Nun ist es ja nicht allzu okkult1, dass die uns umgebende technische Welt optische Eindrücke vermittelt, die keine besonders seelenfördernde Wirkung haben. „Form follows function“2 war das Motto der Bauhausbewegung. Das reine Rechteck in allen Variationen ist funktionell großartig, der Anblick aber ernüchternd. „Sie ham a Haus baut, sie ham a haus baut“ war der dazu passende Song, des jüngst verstorbenen Arik Brauer, der dieses Problem für meine Generation zum Ausdruck brachte. Anders gesagt: Wer täglich morgens ein grandioses Alpental vor Augen hat, weil er dort wohnt, hält die Funktionalität der Fabrik am Talgrund, wo die Arbeit zu finden ist, wohl ganz gut aus. Wer abends auf Betonfassaden starrt jedoch …, der kann es für nötig erachten, den optischen Menschen in sich zu fördern.
Am PC hat man nun das Hintergrundbild als einen ästhetischen Eindruck, der immer unbemerkt mitläuft. Und da lässt sich ansetzten. Zur Verblüffung des Autors, der zunächst nur seinem eigenen theoretisch abgeleiteten Rat folgte, wirken Bilder der großen Meister als Hintergrundbilder ausgesprochen positiv auf ihn. Man kann da auch wunderbar variieren. Die eine Woche mag zu Monet neigen, die andere zu Dürer oder Picasso. Rascher Wechsel bringts eher nicht. Es mag dabei eine Rolle spielen, dass des Autors „Sehsinn“ für Malerei in vergangenen Waldorftagen und später in lebendigen Bildbetrachtungen liebevoll geweckt wurde. Kunstbetrachtungen im anthroposophischen Rahmen gehören mithin zum Besten, was es gibt, weil man selbst ins Betrachten seelisch mitgenommen wird. Nicht ins intellektuelle Interpretieren, sondern ins Mitempfinden wohlgemerkt. Dann öffnet sich etwas, und die Seele beginnt zu schwingen.
Somit kann die wichtigste Ratio für ein Desktopbild sein: Was wirkt ausgleichend auf mich? Sollen es starke Jawlensy Farben und Formen sein, oder ein im Vergleich sanfter Raffael …. oder ganz etwas anderes?
Der PC scheint doch in gewissem Sinne die Sinneswahrnehmung sozusagen zu zerstückeln. Deshalb braucht man als Gegenwirkung etwas Synthetisierendes. Nun kam dem Autor ein Schülerbild zu, in dem einige Waldorfschüler aus Rijeka den „Kuss“ von Klimt in Segmenten nachmalten. Diese wurden dann zum Gesamtbild zusammengesetzt, wie man unschwer erkennt. Beim Betrachten glaubt der Autor nun besonders zusammengesetzt und synthetisiert zu haben aber eben unbewusst. Was eigentlich hätte irritieren sollen, erwies sich für den Autor aber als besonders angenehm. Er glaubt durch eine gesteigerte Aufgabe für das Auge, das Zerstückeln ausgeglichen zu haben, mehr noch als bei einem „richtig“ fertiggemalten Bild. Das nur als Hinweis wohin die Entdeckungsreise so gehen kann.
Es sei sofort zugestanden: Wer selber zu Hause malt, zeichnet, singt etc. ist wohl ohnehin genährt und braucht solche einfachen Vorschläge zum seelischen Erfrischen nicht.
Allgemein sei angemerkt: Aus irgendeinem Grund soll es ein Kunstbild sein, jedenfalls der Erfahrung des Autors folgend. Er erlebte mit Fotos als Desktophintergrund irgendwie nie denselben selbsttherapeutischen Effekt. Ein Abbild der lieben Nichte oder eines süßen Hasen im Felde ist so gesehen weniger wirksam. Auch nicht die recht geschmackvollen Hintergrundfotos, die ein PC „von alleine“ vorschlägt. Auch die Brandung in Dover nicht. Hingegen geht die grandiose Welle von Katsushika Hokusai sehr gut.
Man verstehe diese Zeilen als Anregung. Das Erleben des Schönen, das In-Bildern-Leben und Bildhaft-Auffassens ist das Generalthema der Sieben Jahre in der Waldorfschule, die zwischen Schuleintritt und der Pubertät liegen. Insofern wurde das Thema der bisherigen Waldorftipps wieder aufgegriffen. Was wer mit seinem Desktophintergrund macht, bleibe natürlich weiterhin privat und frei.
Schüler und Schülerinnen der Waldofschule
Rijeka haben auf einer Reise das Original „Der
Kuss“ von Gustav Klimt ausführlich betrachtet.
Dann wurde in Segmenten das Bild nachgezeichnet
und nachher zu einem Ganzen zusammengesetzt.
Den Schülern nicht voll bewusst, wurde so
ein wesentliches Element der Gemeinschaftsbildung
erfahrbar gemacht.
- „Okkult“ bedeutet „verhüllt“
- form follows funktion – Die Form folgt der Funktion. Louis Sullivan, 1896. Die Bauhausbewegung macht im frühen 20.Jahrhuindert daraus den Verzicht auf jegliches Ornament.