Kolonialismus und Dreigliederung Text: Reihard Apel
Es gibt zwei Strömungen im kolonialen Geschehen: Erstens: Der Impuls des Rechtslebens.
Er erobert Territorien und vergrößert das Reich. Er ist die Fortführung des Mittelalters in die Neuzeit hinein, weil vor 1500 eines klar war: Mehr Erdboden und Bevölkerung bedeuten mehr Macht. Zu dieser Strömung gehört Spanien, denn es errichtet wirklich ein Imperium in Südamerika. Sprache, Bevölkerung kurz die gesamte Kultur werden nach spanischer Art geformt und bleiben es dauerhaft. Reich, König, Unterwerfen, das sind Attitüden des Rechtslebens. Die Kolonien werden politisch betrachtet, sind spanisches Rechtsgebiet. Die Spanier unterwerfen ganze Völker – immer mit festem Boden unter den Füssen. Es geht mehr um Gebiete als um Handelsgüter. Schiffe braucht man zum Hinfahren, doch die See liegt den Spaniern nicht im Blut. Ganz typisch sind sowohl Kolumbus als auch Magellan Ausländer, die in Portugal das noch gefährliche Umgehen mit dem Ozean erlernt haben.
Zweitens: Der Impuls des Wirtschaftslebens
Es wird in mutiger Fahrt ins Unbekannte ein Handelsnetz über den entdeckten Globus hin geknüpft und der Welthandel inauguriert. Da ist ein Stützpunkt, dort eine Manufaktur, andernorts ein Lager – die Erde dazwischen ist nicht so wichtig. Dann und wann ergibt sich eine Besiedelung. Das ist das
Wesen des portugiesischen Kolonialismus. Hier waltet echter Entdeckergeist. Später wird der Gewürzhandel mit Indien samt seiner gepfefferten Gewinne zum Hauptinteresse. Die Routen der Schiffe und die Stützpunkte sind zu verteidigen, nicht die Territorien an sich. Portugal zeigt lockere, merkurielle Strukturen*), also all das, was Wirtschaft charakterisiert. Diese Strömung ist die eigentlich moderne. Denn erst nach 1500 wurde das Wirtschaftsleben bewusst und zur mächtigen Antriebskraft der Menschen. Und damit waltet ein neuer Geist in der Kultur.
Zuvor, ab dem 12. Jahrhundert, hatten die allerersten (noch auf die Nord – und Ostsee beschränkten) Seehändler Europas, die Deutschen Hansekaufleute, das reine Bild des Wirtschaftslebens in ihrem Netzwerk der Kontore gezeigt. Sie haben immer unabhängig vom Deutschen Kaiser gehandelt und damit im Sinne der Sozialen Dreigliederung richtig getrennt: Das Wirtschaftsleben vom Rechtsleben. Es nimmt die Vermengung von Staat und Wirtschaft im Gang des Kolonialismus leider zu, und damit entsteht eine Verbindung, die eben durch den Impuls der Sozialen Dreigliederung wieder getrennt werden sollte.
Zurück in die Kolonialzeit: Portugal ist mehr freier Händler, Spanien mehr Konquistador, der Länder und Räume einnimmt.
1588: Die spanische Armada fährt gen England. Große Schiffe mit vielen Soldaten segeln nach Norden. Stolze Adelige halten die Disziplin, prächtige Rüstungen werden getragen, Lieder angestimmt: Spanien will gegen England einen Schlag führen, es sogar besetzen. Die Briten sind zu diesem Zeitpunkt noch eine kleinere Seemacht, aber Heimstätte begabter und wagemutiger Piraten (Sir Francis Drake). Jene überfallen mit Patent der Krone spanische Segler, die schwerbeladen von Südamerika heimwärts schippern. Ein kühner Überfall, ein kurzes Gefecht …. wenn der Pulverdampf sich verzogen hat, ist der Spanier in jeder Hinsicht aufgebracht und seine Ladung los. Das soll aufhören!
Schlacht im August 1588, Gemälde von 1796
In die englischen Gewässer wird nun folgendes Bild gemalt: Hier das noch im Nachklang des Mittelalters befindliche Spanien – statisch und stolz, auf Macht und Protokoll bedacht. Dort das zukunftsträchtige England mit kleineren Schiffen, aber sehr beweglich und improvisierend, nicht unbedingt ehrenhaft doch kühn und gerissen. Die Spanier wollen ein Duell auf See, Schiff gegen Schiff , Breitseite auf Breitseite. Die Engländer und ihre Freibeuter antworten mit Nadelstichtaktik und stellen sich nur einmal zur Schlacht, die aber nicht entscheidet …. üble Stürme und die seltsame Wahl um ganz Britannien herumzusegeln sorgen dafür, dass die gedemütigte Armada zuletzt entkräftet heimwärts schleichen muss. Und dann folgt die eigenartige englische Pause. Britannien setzt nicht nach, legt keine große Flotte auf Kiel, sondern bleibt die Anlaufstelle seiner Freibeuter.
Diese werden im Kino bis heute gepriesen, wenn man an Han Solo denkt, den heldenhaften Schmuggler.
Die merkuriellen Holländer*
Spanien und Portugal haben gegen 1600 nicht mehr den Geist und die Kraft, die Meere allein zu beherrschen. Es schlägt die Stunde der gerade erst geborenen und nicht besonders mächtigen Niederlande. Der holländische Mynheer wird zum Welthändler. Immer mehr Stützpunkte gehen in Asien von portugiesischem in holländischen Besitz über und das Gewürzmonopol gehört im 17. Jahrhundert dem Land der Deiche und Dämme. Es ist das goldene Zeitalter der Niederlande.
Die Holländer bleiben dem Wesen des Gottes Merkur treu, sind wenig Herrscher, wenig Krieger, wenig Mars. Natürlich nutzen sie die europäische Überlegenheit und lassen die lokale Bevölkerung für sich arbeiten. Jedoch bleibt bewusst die Kultur vor Ort intakt, man missioniert nicht. Schau an: Da ist ein Hauch von Verständnis für freies Geistesleben, weil der imperiale Gedanke nicht überwiegt. Es ist vom heutigen Indonesien die Rede, dessen Hauptstadt Jakarta in der Ära der Holländer Batavia hieß. Holland ist zeitweise fast eine Hanse: mehr lockeres Gefäß der Handelsherren als starker Staat. Es entsteht die erste Volksaktie in Holland, weil kein Einzelner die Risiken der Überseefahrt allein tragen kann und viele sich beteiligen müssen. Wir sind schon klar in der Neuzeit und deren stärkster Impuls ist das wirtschaftliche Element des Sozialen Organismus. Also zeigt sich gerade hier Innovation. Alles in Allem muss man immer sehen, wie unglaublich weit weg die Kolonien lagen, wie lang die Seefahrt dauerte, wie gefährlich sie war. Übrigens: Auch Holland ist in seiner spannenden, goldenen Ära vom Zeitgeist der Neuzeit inspiriert, so Steiner. Erst später wird es dort gemütlicher, der Zeitgeist zieht sich zurück und Holland erhält einen regulären Volksgeist dessen Ausdruck die Stimmung ist, in welche die Individualität des Einzelnen im Lande der Grachten heutzutage eingebettet ist.
Ausblick
Erst als im 18. Jahrhundert England endgültig die maritime Weltbühne betritt, wird es Wirklichkeit:
Man kann durch britisches Wesen den merkuriellen Handel und das stählerne Staatswesen mit seinem Dirigismus so verbinden, dass nach und nach ein fast übermächtiges Gebilde entsteht – Das Empire. England verquickt die beiden Strömungen des Kolonialismus. Dazu mehr im nächsten Wegweiser.
* „merkuriell“: Merkur ist der Gott der Handler und Diebe,
merkantil bedeutet kaufmännisch …