Biografiearbeit

Text: Elke Strobl, Foto: Norbert Liszt

Mensch werden ist eine Kunst. Novalis

Jeder Lebenslauf ist einmalig und wunderbar. Es ist eine großartige Aufgabe, Menschen auf ihrer Entdeckungsreise zu dem „Herren oder der Herrin“ in ihrem Hause zu begleiten.

Im Lebenslauf gibt es eine zeitliche Komponente, ein Vorher und ein Nachher, und es gibt rhythmische Komponenten. Diese sind wie ein großes Pulsieren des Blutstromes durch den Herzschlag und ermöglichen wichtigen Impulsen zur Erscheinung zu kommen. Und es gibt Einschläge, die die Ausrichtung des Lebens verändern und etwas ganz Neues ins Leben bringen. Diese Einschläge können äußere Ereignisse oder ganz innerliche Erlebnisse sein. Darunter fallen auch Krisen jeglicher Art, wie zum Beispiel Traumata, Verlust von geliebten Personen, Verlust des Arbeitsplatzes oder psychische Erkrankungen.

Am Ende können wir den Lebenslauf wie einen großen gewebten Bildteppich betrachten, in dem es nicht einen roten Faden, sondern viele Fäden gibt, die sich begegnen und verbinden oder auch wieder voneinander wegstreben. Dieser Teppich ist selbstverständlich noch nicht fertig, wir sind immerfort mit dem Weben beschäftigt.

Wenn ich erzähle, dass ich Biografiearbeit anbiete, werde ich oft gefragt, ob ich dann die Biografie desjenigen schreibe. Das ist nicht die Aufgabe der Biografieberaterin. Mit Hilfe von Fragen und künstlerischen Übungen, sei es in Einzelsitzungen oder Gruppen, wird den Teilnehmenden geholfen, sich selbst zu nähern.

Es gibt einfache Tatsachen des Lebens. Wo und wann wurde ich geboren, wer waren meine Eltern und Geschwister und so weiter? Die nächste Schicht ist, wie ich das alles erlebt habe. Der Schuleintritt hat stattgefunden, er kann freudig erwartungsvoll oder beängstigend oder mit vielen anderen Facetten des Gefühlslebens erlebt worden sein. Das ist genauso Realität wie die nüchternen Tatsachen. Die nächste Schicht ist das, was als dahinter liegend erkannt werden kann, sozusagen den Regisseur oder die Regisseurin unseres Lebens. Dahin zu gelangen ist selten einfach. Da hilft die Erinnerung manchmal nicht mehr weiter. Hier können Bilder und Märchen oder auch das Puppenspiel helfen, an tiefere Schichten des Bewusstseins heranzukommen. Auch Bewegung, hier insbesondere die Eurythmie, ist ein Weg zu mir selbst und führt in der Reflexion zur Erkenntnis. Speziell, wenn wir einmal steckengeblieben sind in der Betrachtung, hilft diese besondere Form der Bewegung wieder „in Fluss“ zu kommen.

Die Arbeit in der Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass mir zugehört wird und ich zuhöre. Durch das Erfahren anderer Lebensläufe werde ich angeregt und Erinnerungen, die längst vergessen geglaubt waren, steigen auf. Durch meine hingebende Aufmerksamkeit und mein urteilsfreies Lauschen schenke ich und werde beschenkt.

In der Einzelarbeit kann mehr auf die individuellen Fragestellungen eingegangen werden. Der Rahmen ist dadurch weiter gesteckt. Beide Formen haben ihre Vorteile.

Ich kann mein Lebensgewebe, so weit wie es eben bis jetzt entstanden ist, anschauen. Im besten Fall kann ich dann einen kleinen Blick auf den „Weber oder die Weberin“ meines Lebens erhaschen, und daraus schöpfen, was immer ich für meine nächsten Schritte im Leben und meine nächsten Lebensabschnitte brauche.

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