Text und Bild: Wolfgang Schaffer
Denken und Tun gehen neue Wege, wo für sie das Licht der Achtsamkeit erscheint.
Wer sich auf den Weg begibt, Achtsamkeit in seinem Leben zu entwickeln, wird dazu auf gewisse Voraussetzungen verwiesen. Es geht dabei um die Bereitschaft, die Welt der Wahrnehmungen ganz bewusst zu unterscheiden von dem Bereich des eigenen Denkens. Im normalen Alltag gehen Wahrnehmung und Denken unbeachtet ineinander über. Ausnahmsweise halten wir nur dann für einen Augenblick lang inne, wenn wir etwas völlig Unbekanntes aus dem Kreis der Wahrnehmungen mit unserem Eigensein verbinden sollen. „Was ist das?“ lautet dann die Frage. „Achtung-Vorsicht!“ ist sehr oft die spontane Antwort einer wirklich unbekannten Wahrnehmung gegenüber. Ob das Unbekannte tatsächlich eine Bedrohung oder eine Bereicherung für mein Weiterleben darstellt, kann jetzt noch nicht entschieden werden. Was nun in Blitzesschnelle vor sich geht, ist die Suche nach dem richtigen Begriff, der die Erscheinung für uns verständlich machen kann. Wir denken nach, woran uns das Objekt erinnert, wir suchen Hinweise in jeder nur verfügbaren Richtung, um das Rätsel der Existenz des unbekannten Wesens durch entsprechende Gedanken aufzulösen. Diese eigenständige, denkende Tätigkeit ist zugleich auch die Quelle dessen, was wir Achtsamkeit nennen können. In diesem Sinne ist Achtsamkeit ein Gedankenlicht, das selbst die unscheinbarsten Wahrnehmungen im alltäglichen Leben mit Begriffen beleuchtet, die uns dann vereinigt zur Erkenntnis die gewohnte Wirklichkeit ergeben: Da ist die Sonne, der Himmel, ein Berg, Bäume, ein Haus… Bezeichnenderweise fällt uns gar nicht auf, was wir eigentlich tun, wenn wir unsere gewöhnliche Wirklichkeit bilden. Wir sind so völlig mit dem Inhalt unserer Gedanken beschäftigt, dass wir die zugrundeliegende Tätigkeit des Vereinens von Wahrnehmung und Begriff durch unsere denkende Betätigung nicht bemerken. Achtsamkeit bringt Licht in diese Zusammenhänge. Im Vergleich mit der vollbewussten, andauernd in Bewegung befindlichen Welt der Gedanken kann die feste äußere Umgebung, in der wir auf der Erde leben, als starr und tot bezeichnet werden. Der von Rudolf Steiner in einem Spruch geprägte Ausdruck „Weltenwinternacht“ kann auch als Bild für die gesamte Sinneswelt verstanden werden. Dieser Welt der in mineralischer Erdsubstanz fest gewordenen Stoffe fehlt ohne den denkenden Menschen das Licht des Geistes in Form von Begriffen.
Seelenkeime in Weltengründen
Eine andere Voraussetzung zur Gewinnung von Achtsamkeit in unserem Leben betrifft die Handlungen, die von uns selber ihren Ausgang nehmen. Dieses eigene Tun bewirkt bestimmte Veränderungen in der Welt, die uns umgibt. Bevor wir handeln, sollten wir versuchen, alles zu bedenken, was mit dem Vollzug einer Tat auch als Folge für uns selbst unauflöslich verbunden bleiben wird. Dazu verhilft uns Achtsamkeit im Bezug auf das Fühlen. Lange vor dem wirklichen Tun können sich die Folgen einer möglichen Handlung für den innerlich achtsam werdenden Menschen bemerkbar machen. Im Fühlen erlebt die Seele das Keimen des Willens. Es wird ihm daher ein gewisses Gefühl verraten, ob die Handlung Gutes wirken oder Arges hervorrufen kann. Achtsamkeit verlangt in diesem Fall die Wachheit, solche Gefühle auch bewusst als Wirklichkeit zu deuten. Hier gilt es eben, noch unbekannte Qualitäten des Fühlens wahrzunehmen und sie mit entsprechenden Gedanken zu verbinden. Dazu braucht es zumeist Einblick in die Werkstatt der Geisteswissenschaft, um sich dort in sachgemäßer Weise an Begriffen und Ideen zu orientieren und nicht in uferlose Phantastik zu verfallen. „Seelenkeime, die leuchtend in Weltengründen wurzeln…“, können diese Erkenntnisse im vorausahnenden Fühlen genannt werden.
Wir gehen auf dem Weg der Achtsamkeit einer Welt entgegen, in der wir wieder in einer über den bloßen Sinnenschein hinaus wahrnehmbaren Wirklichkeit leben können. Achtsamkeit tut auf dem Gebiet des Denkens not, um zu verhindern, dass sich Fixierungen und Vorurteile in die Erkenntnistätigkeit einschleichen. Was denken Sie zum Beispiel spontan, wenn sie das Bild eines prominenten Menschen wahrnehmen, den Sie aber noch nie persönlich getroffen haben? Falls Sie sich dabei ertappen, mit der Wahrnehmung schon ein Urteil „mitzuliefern“, fragen sie sich doch auch einmal nach den Gründen für die Urteilsbildung. Achtsamkeit im Fühlen kann uns dazu führen, die Stimme der Empfindung zu einem immer reineren geistigen Auge zu entwickeln, das nicht zu stark und nicht zu schwach Einblick in fühlbare Zusammenhänge gewährt, die sich nicht direkt in Worte bringen lassen.
Geheime Mission
Ein echtes Gegenbild zur ganz persönlich zu entwickelnden Achtsamkeit stellt die Existenz von sogenannten „Geheimdiensten“ dar. Diese Organisationen entwickeln Achtsamkeit im Zusammenhang mit konkreten rechtlichen Strukturen und setzen einer damit verbundenen bestimmten Doktrin gemäß eine Gefährdung durch das Unbekannte, Fremde prinzipiell voraus. Es geht dann darum, fremdes Wollen noch vor den entsprechenden Taten zu erkennen um es dann je nach dem größten eigenen Nutzen auszuschalten oder in gewollte Bahnen umzulenken. Jede Bewegung des angenommenen Gegners sollte eigentlich gar nicht erst entstehen dürfen, ohne vorher schon von eigenen Absichten gesteuert zu sein. Das fatale Ergebnis einer solchen Haltung ist entweder die Vernichtung oder die völlige Vereinnahmung jedes fremden Wollens. Damit wäre allerdings jede menschliche Begegnung an ein Ende gekommen, aus dem nichts Neues mehr entstehen kann. Beschattung ist ein tatsächlich den Realitäten entsprechendes Wort für die Art und Weise dieser negativen Form von Achtsamkeit. Es lässt sich nun probeweise die Vermutung anstellen, wir hätten es bei dem Bemühen um Achtsamkeit ebenfalls mit einem „Geheimdienst“ in uns zu tun. Dieser hat nun aber ganz bestimmt das Ziel, nicht Schatten, sondern Licht in die Bereiche unseres Seins zu tragen, wo wir bisher unbewusst und schemenhaft agieren. Achtsamkeit ist hier bestrebt, das „ganz Geheime“ in den alltäglichsten Begebenheiten und Entschlüssen zu entdecken. Wir durchlichten uns dabei im Denken und Tun. Der Schlüssel zum Gelingen einer solchen Haltung ist eine Form von Selbstlosigkeit, der es nicht an Ichkraft mangelt. Wir können lernen, uns achtsam selber bis ins Herz zu schauen und darin den Trieb zu einem höheren Menschen in uns wahrzunehmen. In einem Spruch, den Rudolf Steiner für das seelisch-geistige Miterleben des Jahreskreislaufes zur Weihnachtszeit angegeben hat, verdichtet sich eine Stimmung höchster Achtsamkeit im irdischen Erleben. Damit lässt sich die Geburt des himmlischen Bewusstseins in der Finsternis der Stoffeswelt wie in einem Sinnbild nachvollziehen.
Zu tragen Geisteslicht in Weltenwinternacht,
erstrebet selig meines Herzens Trieb.
Dass leuchtend Seelenkeime
in Weltengründen wurzeln
und Gotteswort im Sinnesdunkel
verklärend alles Sein durchtönt.