Müssen, Sollen oder Wollen?

Text: Norbert Liszt, Bild: Flickr, Senecio, Paul Klee

„Pflicht: wo man liebt, was man sich selbst befiehlt“ (J. W. Goethe)

Rechte und Pflichten

Gesetze regeln unser Zusammenleben. Aus ihnen ergeben sich Rechte und Pflichten und die sind einander gegensätzlich. Rechte kann man sich nehmen, Pflichten fordern von uns, etwas zu geben. Seine Rechte fordert man gerne ein. Die Pflicht löst häufig innere Konflikte aus. So manche Seele schwankt zwischen Müssen, Sollen und Wollen.

Von sich selbst Pflichten einzufordern, klingt zunächst paradox. Man wird sich allerdings gerne selbst zu Aktionen verpflichten, die Erfolg versprechen, auch wenn der Weg zum Erfolg beschwerlich ist. Pflichten von anderen Menschen oder einer Gemeinschaft einzufordern, ist ein schwieriges Terrain. Pflichten, die eine Behörde anordnet, können problematische Verhältnisse und Konfliktpotential zwischen Freiheit und Konformität mit sich bringen.

Gesetze versuchen Freiheitsansprüche und Gemeinschaftsleben in Einklang zu bringen. Wir können erleben, dass dieses Bemühen selten in befriedigender Weise gelingt. Ideal wäre, wenn die Regeln nicht die Freiheit stören und die Freiheit nicht das Zusammenleben stört. Dabei ist auch zu bedenken, wo im Sozialen die Freiheit ihren Platz finden und wo das solidarische Zusammenwirken vorrangig walten sollte.

Die Gesetzgebung ist der Versuch den unterschiedlichen Gebieten des sozialen Lebens sinnvolle Regeln zu geben, um den ihnen innewohnenden Prinzipien zu ihrem Recht zu verhelfen.

  • In unserer arbeitsteiligen Wirtschaft ist es das Solidaritätsprinzip, denn wir leben von den Erzeugnissen anderer. Für mein Brot hat zumindest der Bauer für mich gearbeitet. Zumeist aber auch Arbeiter in einer Getreidemühle, Bäcker, Händler …
  • Bildung, Kunst und Kultur entfalten sich in der Atmosphäre eines freien Geisteslebens, dessen Ursprung die im selbstbewussten Menschen lebende Ideenwelt ist.
  • Grundanliegen des Rechtslebens sollte sein, einem sozialen Organismus zu dienen, in welchem sowohl der Einzelne als auch die Gemeinschaft ihren angemessenen Platz bekommen, indem es sowohl eine individuelle Entwicklung als auch ein geordnetes Zusammenleben ermöglicht.

Wir erfahren, dass Gemeinschaften von den Impulsen und der Arbeit Einzelner leben und dem Einzelnen die Errungenschaften einer Gemeinschaft zugutekommen. Doch trotz der Vereinheitlichung in diversen Gemeinschaften, muss der einzelne Mensch die Möglichkeit haben, sich seine Eigentümlichkeit zu erhalten.

Es wäre günstig, Gemeinschaften als einen Organismus zu betrachten, der unterschiedliche Organe hat, die durch ihre spezifischen Fähigkeiten erst dessen Funktionieren ermöglichen. Denn eine taugliche Einheit entsteht durch das Zusammenstimmen einer Vielfältigkeit, in der sich die Teile zur Idee des Ganzen hinaufgestimmt haben.

Dazu Rudolf Steiner: „Heilsam ist nur, wenn im Spiegel der Menschenseele sich bildet die ganze Gemeinschaft und in der Gemeinschaft lebet der Einzelseele Kraft (Wahrspruchworte)“.

Pflicht und Pflegen

Im gewöhnlichen Sprachgebrauch verstehen wir diese beiden Begriffe kontrovers, die Pflicht als ein Sollen oder Müssen, das Pflegen mehr als ein Wollen oder Können. Doch der Sprachgenius weist auf eine Verwandtschaft hin.

Die Moral von der Pflicht

Üblicherweise ordnen wir der Pflicht eine Art Zwangscharakter zu. Er drängt uns, einer äußeren Bestimmung zu folgen. Eine Pflicht wird uns auferlegt. Diese aber so einseitig zu sehen, stimmt nicht in jedem Fall, so lehrt uns die Erfahrung. Wenn jemand einen äußeren Anstoß wahrnimmt, folgt er diesem in der Regel nicht unmittelbar. Er wird erst dann folgen, wenn er die Notwendigkeit zu handeln anerkennt. Damit ist dem Zwangscharakter schon die Schärfe genommen. Er ist der äußeren Bestimmung mit Bewusstsein und Empfindung begegnet. Allerdings ist uns Menschen oft nicht bewusst, welcher Antrieb der stärkere ist. Ist es der äußere oder der innere?

Wenn man der erkannten Pflicht mit liebender Empfindung begegnet, entgeht man der Gefangenschaft in Selbstgefälligkeit und Pflichtunterwerfung. Mit Friedrich Schiller gesprochen und das obige Wort Goethes mitgedacht: „Der Mensch tritt in das schönste Verhältnis zur Pflicht ein, wenn er sie lieben lernt“. Dadurch nähert sich die Pflicht dem zweiten oben erwähnten Begriff – dem Pflegen, denn die Pflicht lieben zu lernen, wird ohne Seelenpflege nicht gelingen. Pflege bringen wir in Verbindung mit Fürsorge, die den Sinn hat, einen Zustand zu verbessern oder zu erhalten, also im Wesentlichen ein Bemühen, zu dem wir uns selbst verpflichten. Die in einer solchen Atmosphäre verwandelte Pflicht wird zur Selbstfürsorge, die das Selbst über es hinausführt und der Seele ein Verantwortungsempfinden anderen gegenüber einpflegt. Damit erscheint die Pflicht in einem neuen Gewand. Dieses Hinauswachsen über sich selbst ist schier unendlich erweiterbar. Indem sich die eigenen Interessen zu Weltinteressen ausweiten, kann der Mensch der Welt, auf die er wirkt, die Richtung zum Guten geben¹.

¹ aus Friedrich Schiller, Über die Ästhetische Erziehung des Menschen

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