Text: Reinhard Apel, Wien
Vorgeschichte
Machen wir uns deutlich, wie eine traditionelle Handelsverbindung zwischen Europa und dem fernen Osten in der Neuzeit allmählich versickerte und an Bedeutung verlor. Dies war die Alte Seidenstraße, die immer schon über den gesamten Eurasischen Kontinent eine Art Fernhandel gewährleistete. Allerdings waren es nur sehr exklusive Güter, die da auf dem Rücken von Lasttieren über Jahrhunderte und Aberjahrhunderte in vergleichsweise geringen Mengen gehandelt wurden. Es handelte sich um ein Kettensystem, in dem die Güter von einem Händler zum nächsten, von einer Karawane zur nächsten weitergereicht wurden. Eine Kenntnis der gesamten Route war sogar noch nach der Zeit Marco Polos nicht vorhanden. Seine außergewöhnlichen Reiseberichte aus dem 13. Jahrhundert wurden nicht geglaubt.
Die Zeit der Entdeckungsfahrten, beginnend im 15. Jahrhundert, sucht die Verbindung nach Asien erstmals aktiv zu gewinnen und im plötzlich sehr emsigen Bestreben China und Indien zu finden, wurde auch Amerika sozusagen als Nebenprodukt entdeckt. Da Christophorus Kolumbus zunächst meinte, die Erde umrundet und auf der Westroute Indien gefunden zu haben, nannte er die Ureinwohner Amerikas “Indianer”. Es waren vor allem die Portugiesen, die die Seewege nach Osten zu suchten und fanden. Da die Route um Afrika herum frei befahrbar war, wurde sie bald zur Haupthandelsroute der Welt. Die Seidenstraße wurde dazumal nicht in ihrer Bedeutung aufgefrischt. Dies lag daran, dass mittlerweile der Islam in Arabien und später auch der Türkei zur Blüte kam und ein “sich Aneignen” der Handelswege über Land nach Asien völlig unmöglich machte.
Der wirtschaftliche Egoismus ist so, wie wir heute über ihn sprechen, wohl auch ein Kind der Neuzeit. Oder soll man wirklich denken, dass die Venezianer nur deshalb die Berichte Marco Polos nicht beachteten, weil ihnen lange Reisen zu beschwerlich waren? Wahrscheinlich waren die Menschen noch nicht so weit, Handelswege besitzen zu wollen und damit die Wirtschaft als Machtfaktor anzuerkennen. Man dachte noch in Territorien und machte es ungefähr so, wie die alten Römer: Man errichtete Imperien. Als die Zeit des Kolonialismus abgebrochen war, setzte sich England nach jahrhundertelangem Auf- und Ab als Beherrscher der Seewege durch und besiegelte mit der Schlacht von Trafalgar (1805) gegen die Franzosen seine Übermacht. Dies lag auch daran, dass die Idee von Macht des sonst so modernen Napoleon noch am imperialen Gedanken der Römer orientiert war. Er verstand nicht, dass moderne Macht auf Wirtschaft und Handel aufbauen muss, wenn man denn ein Imperium errichten will. Dadurch war die Flotte nicht seine wichtigste Waffengattung. Napoleon zeigte sein Genie eben in den Schlachten zu Lande und erwarb Territorien statt Handelsverbindungen. All dies hat der Autor in früheren Beiträgen auskoloriert.
Warum diese Historie so wichtig ist? Es will ein Verständnis dafür erweckt sein, dass ein kämpferisches Erwerben und Kontrollieren des Handels die Größe der englischsprachigen Welt zu einem guten Teil ausmacht. Darüber denkt man dort gar nicht mehr nach, sondern man hat sich eben gegenüber anderen Nationen, die Gleiches wollten, durchgesetzt – mit Blut, Schweiß und Tränen. Dass die Regie über den Welthandel, wenn nicht über die gesamte neuzeitliche Welt, der englischsprachigen Kultur zukommt, ist für Angehörige dieser Kultur eine Selbstverständlichkeit. Nun muss man nur noch die Hypothese für möglich halten, dass man in einflussreichen Kreisen Englands diesbezüglich nicht kleinlich, sondern vielmehr großzügig gedacht hat und denkt. Da hat man gut verstanden, dass das englische Weltreich – das British Empire – letztlich doch nicht ewig währen kann. Also musste zur rechten Zeit die Fackel an einen würdigen Vertreter weitergegeben werden, der aber in seinen innersten Impulsen dem Beispiel Englands folgen und das Imperium in verwandelter Form wieder erstehen lassen würde. Dieser Vertreter sind die USA.
Die USA als metamorphosiertes britisches Imperium
Passenderweise war es die Suez Krise, die den Übergang endgültig fixierte. Der Suezkanal ist der absolut neuralgische Punkt des Seeweges Europa – Asien, der damals nicht den Arabern zufallen durfte, auf deren Land er lag. Also, es wurden massenweise ägyptische Mitmenschen getötet, Soldaten eines Landes auf dessen traditionellem Territorium der Suezkanal lag! Mit dem Suezkanal kontrolliert der Westen hingegen eine Hauptader des Welthandels. Seit der Suez Krise bewacht nicht mehr Die Royal Navy (britische Marine) die Weltmeere, sondern es tut dies nunmehr die US Navy. Aber sie tut dies ganz in englischem Geist und Sinn. Das bedeutete aus Sicht des Autors, es müsste eigentlich einen ständigen Strom kultureller “Erziehung” von den britischen Inseln nach den USA hinüber geben, der sicherstellt, dass nicht die natürliche Selbstbezogenheit der US-Bürger die Oberhand behält, sondern dass immer in geschickter Weise für ein englischsprachiges Seeimperium gesorgt wird, welches die Weltherrschaft oder besser Weltregie sicherstellt. Jedenfalls haben sich die Briten früherer Tage durchaus für Indien und das gesamte Empire interessiert. Dem US-Durchschnittsbürger ist hingegen die restliche Welt nicht so interessant.
Den oben genannten Strom tatsächlich aufgefunden zu haben, ist sich der Autor nicht völlig sicher, gibt es doch eine ganz normale Nähe zwischen den Briten und ihrer ehemaligen Kolonie in Amerika. Ein Symptom könnte sein, dass es offenbar der britische Geheimdienst und nicht die CIA ist, der immer die neuesten Einsichten in den Ukraine Konflikt hat. Als Symptom kann auch gelten, wenn eine führende Person in der Kampagne gegen Waffenbesitz in den USA Piers Morgan war, ein britischer Journalist beim US amerikanischen Sender CNN. Denn die Art und Weise wie die amerikanische Verfassung den privaten Waffenbesitz schützt, geht innerimperial eigentlich nicht. Das Waffenmonopol muss dann das Imperium haben. Immer wäre es ja auch möglich aus dem Geist der Fairness heraus die Zügel freizulassen und in ein ehrlicheres internationales Verhältnis zum Rest der Welt einzutreten, als es heute existiert. Diese Strömung der Fairness und Freiheitlichkeit englischsprachigen Wesens ist stark im Gemüt verankert (besonders in den USA) und liebt das Despotische nicht. Deshalb wohl das auffällige mediale Bemühen die kriegerischen Handlungen, die die Weltregie erforderlich macht, als Befreiung anderer Völker darzustellen. Im alten Rom konnte Cäsar offen als Imperator auftreten und musste nicht seinen Gallischen Krieg (De Bello Gallicum) als Befreiung der armen Kelten von unterdrückerischen Druiden darstellen. Man soll in diesem Zusammenhang nicht übersehen, dass die Halbinsel Krim der zentrale strategische Punkt im Schwarzen Meer ist. Vielleicht muss deshalb die Rückeroberung der Krim für die Ukraine so stark eingefordert werden und auch der Beitritt der Ukraine zur NATO. Vielleicht geht es im Hintergrund gar nicht nur um Gerechtigkeit für die Ukraine, zumindest in diesem Punkt. Auch die Idee, dass eine europäische Friedensarchitektur nur über Wladimir Putins Leiche zu machen wäre, ist eine gelinde gesagt einseitige Vorstellung. Die politisch mehr selbstbezogenen US-Amerikaner mit Nachdruck für die Gefahren der großen Welt aufzuwecken und sie davon zu überzeugen, dass die USA außenpolitisch als Weltpolizist aufzutreten haben, ist jedenfalls ein Dauerthema in den wichtigsten westlichen Medien. Täte man solches nicht, die Amerikaner würden die Fähigkeit zur Weltherrschaft aus inneren Gründen allmählich verlieren und die Übergabe der imperialen Fackel von London nach Washington verlöre ihren Sinn. Die These darf also zumindest auch in den intellektuellen Strom einfließen, dass in Wahrheit gar nicht die USA aus sich heraus diese unüberwindliche Supermacht gegenüber aller Welt sein wollen. Dahinter könnte nach wie vor britischer politischer Geist stehen, der beharrlich für das englischsprachige Weltimperium sorgt.
China
Nun wechseln wir einmal den Schauplatz aber immer im Bewusstsein, dass der Welthandel im Wesentlichen zur See und damit unter “englischer” Regie abläuft. Der Umfang eines Artikels im Wegweiser hat Beschränkungen. Somit sei nur angerissen, wie lohnenswert es ist, die traditionelle chinesische Einstellung der Abwehr alles Fremden zu studieren und sich klarzumachen, was für eine ungeheure Kraftanstrengung es die chinesische Führung gekostet haben muss, China nicht nur zu modernisieren, sondern zu einer internationalen Handelsmacht zu machen. Wiewohl der chinesische Händler schon lange in der Diaspora existiert, verbindet man sich eigentlich nicht innig mit anderen Völkern. Chinatown in New York erinnert durchaus an die alten jüdischen Ghettos, in denen man einfach unter sich bleiben wollte. Das Vorbild Japans dahingehend, dass man innerlich Asiate bleiben und äußerlich zivilisatorisch westlich werden muss, will man nicht Satellit sein, die Bedrängung durch den Westen seit den Zeiten des Kolonialismus, die Erniedrigungen im Zweiten Weltkrieg, die Tatsache, dass einem der Westen einen Hemmschuh in Form Taiwans vor die Nase gesetzt hat, der gerade die Entfaltung zur See behindert, all das wäre zu bedenken und kann hier nur in sträflicher Kürze gestreift werden. Seit wir also China in den 2000er-Jahren als neue Weltmacht und auch als Bedrohung kennengelernt haben, wissen wir, dass die wirtschaftliche Entwicklung China sehr viel einflussreicher gemacht hat, als der Besitz der Atombombe es vermochte. Die chinesische Führung unter Xi Jinping, allesamt an westlichen Eliteuniversitäten ausgebildet, hat wirklich und wahrhaftig verstanden, dass man in der modernen Welt entweder selbst eine Industrie und Handelsmacht zu werden hat, oder man wird vom Westen abhängig. In der Marktwirtschaft geht es ja nicht von vorneherein gleichberechtigt zu. Bereits in den Opiumkriegen des 19. Jahrhunderts hat das British Empire den Chinesen eindrucksvoll gezeigt, wie schändlich diese behandelt werden, wenn sie sich nur passiv und bewahrend verhalten wollen. Diese Lehre befolgt das moderne China nun konsequent. Alles, was uns daran nicht koscher vorkommt, ist doch nur ein Spiegelbild unser selbst mit dem die guten Geister der Welt uns etwas über uns selbst sagen. Natürlich tun sie das kunstvoll und indirekt, um unsere Freiheit nicht zu gefährden und unseren Willen nicht zu determinieren. Was da in chinesischem Gewand drohend daherkommt, ist eigentlich eine Nachahmung westlichen Wesens, deren Merkwürdigkeit von der Metamorphose ins chinesische Wesen bedingt ist.
Statt sich beschießen – Gutes beschließen
Auch dass man es sich in China abzuschminken hat, auf dem Seeweg gleichberechtigt teilzuhaben, hat man in Peking erkannt. Man würde ja gerne, aber da gibt es dieses “Malakka-Dilemma”. Es besagt, dass die US-Navy jederzeit und unter irgendeinem Vorwand die Straße von Malakka sperren kann. Dies ist eine strategische Engstelle auf den Seewegen Ostasiens über den die chinesischen Waren per Schiff in den Welthandelsweg einströmen. Der geschätzte Leser beachte einmal, wie praktisch alle strategischen Punkte zur See einen NATO-affinen Wächter haben. Selbst auf dem winzigen aber strategisch unschätzbaren Felsen von Gibraltar sitzen die „Engländer“. Aber – einen Moment – da gab es doch einmal eine Landverbindung nach Europa – die Seidenstraße.
Was Wunder, wenn man in China nun mit aller Macht und Entschlossenheit das Projekt “Neue Seidenstraße” vorantreibt. Dass das Ganze einen Anstrich von Gigantomanie hat, ist einerseits klassisch chinesisch, andererseits sieht sich das moderne China zu Recht in einem entscheidenden Kampf um die Eigenständigkeit. Dieser kann nach heutiger Logik nur gewonnen werden, wenn man im Welthandel nicht den Kürzeren zieht. Und nachdem man nach dem 2.Weltkrieg noch ziemlich unterentwickelt war, muss man jetzt ordentlich auf die Tube drücken. Man glaubt unter dem Fortschrittsdruck des Westens keine Zeit für eine ruhige Entwicklung zu haben und zwingt das malträtierte asiatische Wesen, die bedrohliche Form des Handelsgiganten anzunehmen. Alles geschieht dann folglich nicht auf nette Art und das Inhumane daran können westliche Medien Woche für Woche anprangern. Und dennoch läuft all dies mit einer gewissen Notwendigkeit ab.
Außer … Die Soziale Dreigliederung würde doch noch entdeckt und auch in den Welthandel einwirken, was ein friedlicheres Kooperieren erlaubte. Zunächst ein recht utopisches Bild, welches aber doch gezeichnet sei, um überhaupt einen anderen Weg anzudeuten. Das Motto wäre dann: statt einander beschießen – Gutes beschließen.
Dieses Gute müsste die Form kooperativer Verträge annehmen, die den Konkurrenzkampf einhegen. Wirtschaft und Politik hätten eine andere Dynamik, wären stärker entflochten. Und damit löste sich der imperiale Gedanke auf.
Wie die Soziale Dreigliederung auch Etwas wie eine Kette auf der alten Seidenroute etablieren könnte, aber diesmal nicht eine Abfolge von Handelsabschnitten, sondern ein Ineinanderschlingen von Assoziationen, darüber mehr im nächsten Heft.