Text: Norbert Liszt im Gespräch mit Dr. Johannes Zwiauer
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Dr. Johannes Zwiauer wurde am 19.1.1922 in Innsbruck geboren. Sein Vater war Teilhaber an der Tiroler Glashütte (Kunstglasfabrikation) in Kramsach im Inntal, wo geschliffenes Glas für Tinkgläser, Schüsseln, Teller etc. hergestellt wurde. Im 2. Weltkrieg ist der Betrieb zugrunde gegangen. Die Eltern suchten nach einer anderen Bleibe. So kam es zum Umzug nach Wien zu den Großeltern. Johannes war 5 Jahre alt. Er wurde in der von Karl Julius Schröer eingerichteten Evangelischen Volksschule am Karlsplatz eingeschult.
Der Vater fand als Chemiker eine Anstellung bei Dr. Wantschura. Sein Arbeitsgebiet war die Krebs-Frühdiagnose. Die Hochachtung, die er dem Arzt gegenüber empfand, führte ihn in die Anthroposophische Gesellschaft. Er war ein kritischer Geist, doch verband er sich nicht so tief mit der Anthroposophie wie später sein Sohn Johannes. So konnte dieser ganz unvoreingenommen an die Inhalte der Anthroposophie herangehen.
Johannes Zwiauer fand als jüngster von vier Brüdern sehr früh zur Anthroposophie. Bruder Thomas war überzeugter Anthroposoph. Er war 11 Jahre älter und nahm seine jüngeren Brüder (Lukas und ihn) mit zu Vorträgen von Dr. Rudolf Frieling in der Christengemeinschaft. Der damals vierzehnjährige Johannes hat die Vorträge mit Begeisterung aufgenommen. In Vaters Bibliothek fand er das Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“. Darin las er einen für ihn entscheidenden Satz: „In jedem Menschen schlummern Fähigkeiten, wodurch er in der Lage ist, sich in die geistige Welt zu erheben.“ Diese Erkenntnis hat bei ihm eingeschlagen, wie ein Blitz. Er hatte das Gefühl, vom Schicksal zur Anthroposophie geführt worden zu sein und hatte niemals Zweifel an ihrer Wahrhaftigkeit.
Johannes besuchte das Rainer-Gymnasium, in Wien Wieden. Die Wohnung der Familie Zwiauer lag in der Floragasse, in der Nähe zum heutigen Haus der Anthroposophie. Schon als Kind hat Johannes eine Zweiteilung bemerkt: Es gibt Menschen, die pflegen den Geist, andere pflegen eher den Körper, z.B. mit sportlichen Aktivitäten. Ihm war auch klar, dass der Naturwissenschaft etwas fehlt. Sie greift zu kurz in ihrem Erkenntnisbemühen und schaut hauptsächlich auf die physischen Erscheinungen, auf das Wäg-, Zähl- und Messbare. Sie blendet das Seelisch-Geistige aus, bildet Theorien, die an der Wirklichkeit vorbeigehen. Das hat Johannes als Mangel erlebt und veranlasste ihn dazu, sich mit Alchemie zu beschäftigen.
Nach dem Vorbild seines Vaters studierte auch Johannes Chemie. Herr Cornelis Apel kam eines Tages zu seinem Vater: „Ihr Sohn studiert doch Chemie. Ich brauche einen Chemiker!“ Das war im Jahr 1948. In diesem Jahr kam Johannes Zwiauer aus der Kriegsgefangenschaft in den USA (Norfolk, dann Texas und Seattle) zurück.
Weleda-Österreich – Beruf als Berufung
Im Krieg hat es Weleda-Österreich nicht gegeben, doch bald nach dem Krieg erfolgte der Neuaufbau. Dr. Oskar Schmiedel, der erste anthroposophische Pharmazeut, kam aus Deutschland, um Weleda in Österreich zusammen mit Johannes Zwiauer, aufzubauen. Dr. Schmiedl hat an einer Broschüre über die Kinderjahre Rudolf Steiners gearbeitet. Er hatte dadurch wenig Zeit, sich um seinen neuen Mitarbeiter zu kümmern. Er sagte: „Sie werden das schon machen Zwiauer!“ Er vertraute dem jungen Laboranten sehr bald die Leitung der Produktion an. Bis zu seinem Doktorat arbeitete dieser bei der Firma Weleda als Laborant und übernahm als solcher schon führende Aufgaben.
Nach dem Krieg ist Weleda-Österreich ein kleiner Betrieb. Am Getreidmarkt wurden Räume in einem Bürohaus der Bundesbahn gemietet. Ein Lager wird eingerichtet und das Sortiment zunächst aus Deutschland bezogen. Später wird immer mehr selber gemacht. Johannes Zwiauers Aufgabe war, zusammen mit Dr. Schmiedel das Produkt-Sortiment von Weleda aufzubauen. Die Firma war zunächst Eigentum des Herrn Apel.
Er hatte die Konzession für den Vertrieb von Naturheilmittel und Kosmetikartikel, aber keine spezifische, pharmazeutische Ausbildung. Früher war er Vertreter in einem großen Farbenunternehmen und ist in dieser Funktion viel gereist. Als Drogist hatte er die Konzession für den Betrieb bekommen, durfte aber nicht die fachliche Leitung innehaben. So wurde Johannes Zwiauer als Laborant Betriebsleiter, was nicht so ganz legal war. Erst nachdem er das Doktorat erhalten hatte, lief alles in normalen Bahnen. Sein Einkommen war sehr bescheiden, aber da die Aufgabe so interessant war, hat er das akzeptiert. In anderen Betrieben hätte er ein Vielfaches davon verdient. Vom Ernten der Pflanzen bis zum fertigen Produkt hat er alles selber gemacht oder selber beaufsichtigt. Damit wuchs seine Erfahrung, die er dann in Kursen, Seminaren und Tagungen weitergeben konnte.
Zunächst galten die Produkte von Weleda-Österreich als Naturheilmittel und Kosmetika. Schwierigkeiten ergaben sich dann bei der Anmeldung der Produkte als Heilmittel. Man musste eine Unmenge an Daten liefern (Nachweis der Wirksamkeit, Unbedenklichkeit, Unschädlichkeit …). Wissenschaftliche Nachweise mussten erbracht werden. Die Produkte mussten zertifiziert werden, sonst bekam man keine Bewilligung für den Vertrieb. Das erforderte einen immer größer werdenden Aufwand, was oft über die finanziellen Möglichkeiten von Weleda-Österreich hinausging. Andererseits musste für die Fertigprodukte viel gezahlt werden, daher wurde versucht, so viel wie möglich selber zu machen. Für die selbst erzeugten Produkte war aber eine Bewilligung erforderlich. Das war ein schwebendes Damoklesschwert und führte an die Grenzen des Möglichen. Diese Schwierigkeiten konnten aber gut und mit viel Arbeitsaufwand bewältigt werden.
Die Heilmittelproduktion konzentrierte sich vor allem auf die Typenmittel, für „typische“ Krankheiten und Krankheitsdispositionen unserer Zeit (Migräne, Allergie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Sklerose, Stoffwechselstörungen – Cardiodoron, Hepatodoron, Scleron …). Bezüglich der Zulassungsbewilligung erklärten die Behörden, dass sie nichts davon verstünden und dass die Ärzte es verantworten müssten (Rezeptpflicht).
Ende 1992 verkaufte Herr Apel den Betrieb an die Firma Weleda AG. 1999 erfolgte der Umzug in den 22. Bezirk (Hosnedlgasse). Die Behörde kam, verbot die Ampullenherstellung und verwies auf die Gesetze, die es nicht zulassen, dass ein Industriebetrieb wie Weleda in einem wohnhausartigen Gebäude untergebracht ist. Da war J. Zwiauer schon in Pension. Er blieb aber bis heute Mitarbeiter der Weleda.
Sein Erfahrungsreichtum und seine Fähigkeit, die Dinge gut verständlich darzustellen, machten ihn zu einem gefragten Vortragsredner und Seminarleiter. Seine diesbezügliche Tätigkeit, die er sehr gerne ausübte, erstreckte sich auf Seminare, Tagungen etc. für Drogerien, Parfümerien, Pharmazeuten, Ärzte … in D, Ö, CH, USA, Russland, Ägypten, Georgien. Das war für ihn ein willkommener Zusatzverdienst. Sein Gehalt war ja ziemlich gering. Seine Vorträge fanden großen Beifall. In kurzer Form hielt er sie schriftlich fest, woraus dann später ein Buch entstand.¹ Er war mit den Pionieren der Weleda gut befreundet und ist durch seine Vortragstätigkeit mit vielen Menschen bekannt geworden. So konnten er und seine Frau, mit der er seit 1950 verheiratet ist, auf Reisen bei Freunden Quartier finden. Eine dieser Reisen führte sie mit dem Rad von Wien bis nach Dornach. Später setzten ihm zwei Schlaganfälle körperlich schwer zu, sodass er die Seminartätigkeit einstellen musste.
Seine Liebe zur Anthroposophie
Wie schon oben dargestellt suchte Johannes Zwiauer schon sehr früh den Bezug zur Anthroposophischen Gesellschaft und war später Leiter des Empedokleszweiges (1960 – 80), Leiter der österreichischen anthroposophischen Landesgesellschaft und Generalsekretär.
Nach dem Krieg formierte sich die Anthroposophische Gesellschaft in Österreich im Tanzstudio Pfundmayr, in der Schottengasse, im ersten Wiener Gemeindebezirk. 1948-50 hatte man dort einen winzigen Raum zur Verfügung. Später erhielt man Unterkunft in der Wiener Christengemeinschaft. Danach ergab sich durch Frau Marianne Kassner die Möglichkeit in die Tilgnerstraße zu ziehen. Sie bewohnte den 3. Stock. Als alleinstehende Witwe brauchte sie nicht so viel Raum und so konnte die Anthroposophische Gesellschaft Räumlichkeiten im 3. Stock beziehen. Später wurde der 2. Stock frei. Es war allerdings nicht so viel Geld vorhanden. Also ergriff Dr. Alfred Bauer (Linzer, Begründer der Chirophonetik) bei der Generalversammlung der Landesgesellschaft die Initiative: „Wir sammeln Geld für die Miete der Räumlichkeiten!“, nahm seinen Hut und ging durch die Reihen. So kam eine stattliche Summe für die Miete zustande.
Unter Dr. Reimar Thetter (Zweigleiter, Generalsekretär, Leiter der Landesgesellschaft, Leiter der medizinischen Gesellschaft) war J. Zwiauer Adlatus zusammen mit Franz Kaiser-Kassner. So wurde er Nachfolger von Dr. Thetter als Zweigleiter. Nach dessen Tod übernahm er für ca. 6 Jahre auch die Ämter als Vorsitzender und Generalsekretär der Landesgesellschaft. Seine Vielfachfunktionen führten ihn des Öfteren zu Vorträgen, Seminaren, Tagungen, Aufführungen etc. ins Goetheanum, nach Dornach, dem Zentrum der Anthroposophie.
Im 1. Stock des heutigen Hauses der Anthroposophie war der Festsaal, welcher von Anfang an für die Eurythmie bestimmt war. Die Eurythmie wurde damals vollständig von einem Kulturfonds der Landesgesellschaft bezahlt. Später gab die Landesgesellschaft Subventionen. Es konnte die Eurythmieschule aufgebaut und durch die großzügige finanzielle Unterstützung von Hilde Stifnig weiter betrieben werden. Frau Edeltraud Zwiauer war von Anfang an in der Schulleitung. Etwas später kam Frau Adelheid Petri dazu. Johannes Zwiauer übernahm als Vorstandsmitglied auch Verantwortung für die Eurythmieschule.
Das Hochhalten der Anthroposophie und die praktische Arbeit bei der Weleda waren für ihn wichtige Lebensinhalte. Immer war und ist er darauf bedacht, der Anthroposophie bestmöglich zu dienen. Heute, im fünfundneunzigsten Lebensjahr, nach zwei Schlaganfällen, deren Folgen er mit seinem unbändigen Willen gezähmt hat, ist er mit der Anthroposophie und Weleda noch immer aktiv verbunden.
¹ Dr. Johannes Zwiauer, „Anthroposophisch erweiterte Pharmazie“, Verlag Ch. Möllmann